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POSITIONEN: Der Markt versagt

Lebensmittel, Öl, Strom: Kartelle treiben die Preise in die Höhe. Wer die Inflation bekämpfen will, der sollte endlich für mehr Wettbewerb sorgen.

Das Leben wird teurer. Strom-, Wasser- und Gaspreise klettern in schwindelnde Höhen. An den Zapfsäulen kostet der Liter Benzin 1,60 Euro. Auch das Essen wird immer teurer: Brot-, Fleisch-, Milch- und Butterpreise steigen zwischen 6 und 44 Prozent. Über die Ursachen der Preisexplosion wird hitzig debattiert. Begrenzte Reserven und unzureichende Raffineriekapazitäten treiben den Ölpreis. Chinesen und Inder konsumieren mehr Fleisch und Milch. Ernteerträge fließen als Biosprit in den Tank. Spekulanten tun ein Übriges. Ein Preistreiber bleibt jedoch unterbelichtet: die Marktmacht einzelner Unternehmen.

Dort, wo es wenig Wettbewerb gibt, setzen marktbeherrschende Firmen ihre Preisvorstellungen und Verteilungsansprüche durch. Auf den globalen und nationalen Nahrungsmittel- und Energiemärkten ist die Konzentration weit vorangeschritten. Die jüngste Teuerungswelle beruht nur zum Teil auf steigenden Rohstoff- und Energiepreisen, sie ist auch Ergebnis chronischen Marktversagens.

Auf dem Weltagrarmarkt befinden sich die Saatgut- und Mischfutterindustrie sowie die Agrochemie in den Händen weniger großer Firmen. Folglich sind die Preise für Pflanzenschutzmittel, Dünger und Saatgut höher als auf wettbewerbsintensiven Märkten. Dies schlägt sich in den Bilanzen nieder. Die Gewinne der Agrarmultis ADM, Monsanto oder Cargill kletterten um mehr als 50 Prozent. Auch im Lebensmittelhandel mangelt es an Wettbewerb. Die fünf größten Unternehmensgruppen beherrschen 90 Prozent des heimischen Marktes. Dies führt zu einer großen Einkaufsmacht. Dennoch ist die Niedrigpreisstrategie von Lidl, Edeka, Aldi & Co. mehr Schein als Sein. Laut EU-Kommission reichten die führenden Lebensmittelhändler die höheren Rohstoffpreise an ihre Kunden weiter. Umsätze und Gewinne der großen fünf steigen.

Bei Strom und Gas bezahlen die Kunden die Extraprofite eines Stromkartells. Die Liberalisierung des Energiemarktes ist gescheitert. Vier große Energieversorger stellen heute 82 Prozent der Erzeugungskapazitäten. Sie kontrollieren die gesamte Wertschöpfungskette. Das zahlt sich aus: Die Strompreise für Industriekunden stiegen seit 2000 zwischen 58 und 77 Prozent; für private Haushalte um rund 50 Prozent. Mehr als die Hälfte dieses Anstiegs ist der Preispolitik der Energieversorger geschuldet. Der operative Gewinn von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW summierte sich in den letzten sieben Jahren auf insgesamt 90 Milliarden Euro.

Auch Mineralölkonzerne sind eine wettbewerbsscheue Spezies. Rohölförderung, Verarbeitung und Vertrieb befinden sich meist in einer Hand. Drei Viertel des Tankstellennetzes werden hierzulande von fünf Anbietern kontrolliert. Kein Wunder, dass die Kassen der Konzerne klingeln. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres stapelten sich in den Geldspeichern der fünf größten Ölmultis rund 22 Milliarden Euro.

Die Politik hat vor dieser Marktmacht kapituliert. Ordnungspolitischer Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Kartellamt und Regulierungsbehörden finden kein Mittel gegen die dreiste Preispolitik der Oligopolisten. Die marktbeherrschende Stellung einzelner Unternehmensgruppen wird den Preisen auch weiterhin Flügel verleihen. Ludwig Erhard würde sich im Grabe umdrehen.

Es kommt aber noch bunter: Da gegen die preistreibende Marktmacht scheinbar kein Kraut gewachsen ist, sollen jetzt die Gewerkschaften maßhalten. Sonst drohe eine Lohn-Preis-Spirale. Völlig wirklichkeitsfremd ist das nicht. Auf wettbewerbsarmen Märkten können die Firmen steigende Arbeitskosten direkt auf die Preise überwälzen. Doch Bescheidenheit ist fehl am Platz. Die Oligopolisten erhöhen ihre Preise auch ohne Lohnzuwächse. Steigende Löhne lassen lediglich Luft aus den fetten Gewinnpolstern. Die Extraprofite beginnen zu schmelzen. Wer die Inflation bekämpfen will, der sollte endlich für mehr Wettbewerb sorgen.

Der Autor ist Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Dierk Hirschel

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