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Meinung: Positionen: Der Obrigkeitsstaat kehrt zurück

Der neue Senat ließ seinen Blick über Berlin schweifen und sah, dass Berlin außer als Wissenschaftsstandort zur Zeit nicht viel zu bieten hat; und er entschloss sich, die Benjamin-Franklin-Klinik zu schließen. Er studierte die neue Pisa-Studie und traf die Entscheidung, Schulen in freier Trägerschaft abzubauen.

Der neue Senat ließ seinen Blick über Berlin schweifen und sah, dass Berlin außer als Wissenschaftsstandort zur Zeit nicht viel zu bieten hat; und er entschloss sich, die Benjamin-Franklin-Klinik zu schließen. Er studierte die neue Pisa-Studie und traf die Entscheidung, Schulen in freier Trägerschaft abzubauen. Er schaute auf die multikulturelle Landschaft der Stadt und nahm sich vor, alle begonnenen Bemühungen um eine Partnerschaft mit Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Schulen zurückzufahren.

Zeiten des Sparens sind Zeiten der Wahrheit - es zeigt sich, wo die Prioritäten der Sparer liegen. Politiker nutzen das gerne zu einem Verwirrspiel: Sparrhetorik wird eingesetzt, um zu verschleiern, dass Ideologie im Gewande des Sparens durchgesetzt werden soll. Der Senat ist dabei, ein wichtiges Stück bürgerlicher, ziviler Kultur in Berlin zu beschädigen. Und er weiß, dass er es tut.

Der Sparbeschluss gegen die "privaten" Schulen, die Verringerung der Zuschüsse zu den Personalkosten von 97 auf 90 Prozent, gehörte zu den ersten Absprachen der Koalition. Der Aufschrei der Kirchen und anderer Schulträger sowie der betroffenen Eltern verhallte schnell. Im Getöse der Haushaltsdebatten soll der verbleibende Protest nun wie das Genöle von Leuten wirken, denen es sowieso viel zu gut geht. Die freien Träger bekommen die obrigkeitliche Ungeduld und Unwilligkeit der neuen Herren im Senat zu spüren. Und doch geht es um mehr als "nur" um Geld: Die Schulen in freier Trägerschaft werden aus Berlin verjagt. Dahinter steckt politischer Wille.

Es liegt auf der Hand, dass das Schröpfen der freien Träger der Sparlogik widerspricht, sind diese doch billiger für das Land als staatliche Schulen. Dass die freien Träger trotz des Zwangs, Schulgeld erheben zu müssen, keine "Schule für Besserverdienende" sind, weiß ebenfalls jeder, der einmal mit Schülern oder Eltern an diesen Schulen gesprochen hat. Gerade die Schulen in freier Trägerschaft, insbesondere die kirchlichen Schulen, konterkarieren die Erkenntnis der Pisa-Studie, dass sich die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland am sozialen Herkunftsmilieu entscheiden; offensichtlich geht es auch anders. Doch das alles schert den Senat nicht. Hinter dem Machtgestus steht politisches Ressentiment: Freie Träger sind ein Störfaktor in der Berliner Bildungslandschaft. Bildung ist und bleibt Staatsangelegenheit.

Für Politiker wie Peter Strieder, Klaus Wowereit und Klaus Böger ist der Staat für das "Öffentliche" zuständig; alle anderen gesellschaftlichen Gruppen sind letztlich für ihre eigenen Interessen zuständig und deswegen "Private". Man kann sie daher im Zweifelsfalle auch als erste aus der öffentlichen Förderung herauskicken, selbst wenn der Spareffekt minimal und am Ende sogar kontraproduktiv ist. In diesem Weltbild kommt entgegen allen Beschwörungen bei Festreden und Empfängen so etwas wie "civil society" nicht vor, gesellschaftliche Kräfte und Initiativen nämlich, die ihrerseits ein öffentliches Interesse verfolgen und sich gemeinwohlorientiert engagieren. Schulen in freier Trägerschaft sind in diesem Sinne ein Inbegriff der Zivilgesellschaft. Eben hier liegt der blinde ideologische Fleck der Sparer.

Bemerkenswert ist, dass beim rot-roten Senat rot nicht gleich rot ist. Mit anderen Worten: Die SPD ist ideologischer als die PDS. Die bringt weit mehr Verständnis für freie Träger und Kirchen auf als die neue Generation von SPD-Mächtigen. Das hängt wohl damit zusammen, dass sich paradoxerweise gerade die SED-Nachfolge-Partei in den vergangenen Jahren im Ostteil der Stadt mehr als ein Element der "civil society" betätigte, als sie es selbst vielleicht schon begriffen hat. Natürlich ist dies auch ein Erbe der sozialistischen Tradition; der Staat, der mit der Partei eins war, besetzte alle gesellschaftlichen Bereiche selbst, bis hin zu den Initiationsriten an den Wendepunkten des persönlichen Lebens. Doch vielleicht hat zehn Jahre nach der Wende das Sein der PDS als Partei, die nicht mehr mit dem Staat identisch ist, ihr Bewusstsein verschoben. Wer längere Zeit auf der gesellschaftlichen Ebene agiert hat, ohne staatliche Macht inne zu haben, bekommt ein Gespür dafür, dass es noch etwas anderes gibt als den Staat.

So wird hinter den Sparbeschlüssen insbesondere das Politikverständnis einer bestimmten Generation von SPD-Politikern deutlich: Förderung wird als Wohltätigkeit von oben gewährt, Gestaltungsansprüche von unten werden als Unbotmäßigkeit erlebt, insbesondere dann, wenn sich gesellschaftliche Kräfte als eigenständige Partner des Staates bei der Förderung des Gemeinwohls verstehen und nicht einfach nur als dienstbare Untertanen und Helfer.

Es wird in Berlin in den nächsten Jahren darum gehen, zivilgesellschaftliches gegen obrigkeitsstaatliches Denken zu stärken. Der Kampf um die freien Schulen offenbart ein fehlendes Gespür für die Bedeutung der Zivilgesellschaft. Aber: Er ist noch nicht verloren.

P. Klaus Mertes

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