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Meinung: Positionen: Die deutsche Liebe zum Glaubenskrieg

Eine gelungene Wortschöpfung ist der Ausdruck "deutsche Leitkultur" nicht. Doch die Aufregung, die er ausgelöst hat, hat er auch nicht verdient.

Eine gelungene Wortschöpfung ist der Ausdruck "deutsche Leitkultur" nicht. Doch die Aufregung, die er ausgelöst hat, hat er auch nicht verdient. Gemeint war nämlich etwas Triviales. Es sollte ja nicht gesagt sein, dass die deutsche Kultur für andere Länder Leitfunktion haben sollte ("am deutschen Wesen soll die Welt genesen"), sondern für Deutschland und deshalb auch für Einwanderer nach Deutschland.

Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge kommen zu uns, weil sie in ihrer Heimat bedroht sind. Sie wären lieber in ihrer Heimat, wenn die Umstände dort es nur erlaubten. Sie wollen also Gäste sein. Einwanderer dagegen möchten auf Dauer bei uns leben. Es gibt auch Einwanderer, die sich als Asylbewerber ausgeben und Asylbewerber, die sich entschließen, doch auf Dauer hier zu bleiben. Es gibt auch Einwanderer, die doch wieder in ihre Heimat wollen.

Das alle schafft unvermeidliche Probleme. Jetzt geht es nur um die Einwanderer, die auf Dauer bei uns leben und womöglich schließlich deutsche Staatsbürger werden sollen. Was müssen wir von ihnen erwarten? Selbstverständlich müssen sie sich an Recht und Gesetz und namentlich an das Grundgesetz halten. Andernfalls müssen sie, wie jeder in diesem Lande, mit Sanktionen rechnen. Aber offenkundig genügt das nicht, um sich bei uns zurecht zu finden und zu Hause zu fühlen. Sie müssen auch die deutsche Sprache beherrschen, denn das ist in Deutschland die einzige Amtssprache und auch die einzige öffentliche Verkehrssprache. Daran wird sich für unabsehbare Zeit ebenso wenig etwas ändern wie für das Französische in Frankreich. Wer die Landessprache nicht beherrscht, hat nicht nur gewaltige Orientierungs- und Partizipationsprobleme, er gerät auch allzu leicht in unwürdige Abhängigkeit und Isolierung. Wer in Deutschland seine Frau vom deutschen Spracherwerb abhält, behandelt sie als Sklavin. Und dann sollten sich Einwanderer - wiederum im eigenen Interesse - auch in der deutschen Kultur auskennen. "Eine deutsche Kultur gibt es doch gar nicht, niemand kann sie definieren!" Mag sein, dass sie niemand definieren kann, aber jeder kann erleben, was gemeint ist. Alles, was uns in der Fremde befremdet, weil es anders ist als gewohnt, bringt uns zu Bewusstsein, wie vieles für uns selbstverständlich ist, was für andere nicht selbstverständlich ist. Oder umgekehrt: Was Fremde bei uns verwundert und was sie gern erklärt haben möchten, das können wir mit dem Ausdruck "deutsche Kultur" zusammenfassen. Das sind Umgangsformen und Gewohnheiten, Feste und Bräuche, Sprichwörter und Redensarten. Und ein bisschen von dem, was man im anspruchsvolleren Sinne Kultur nennt, mindestens Bach im Bachjahr und so weiter, gehört ebenso dazu. Manche kommen extra zu uns, um das zu sehen und zu hören, was es so nur hier gibt, die Touristen. Und auch die Geschichte dieses Landes gehört dazu, jedenfalls so weit sie in Diskursen präsent ist, aber auch in materiellen Zeugen unserer Vergangenheit, neben denen wir leben und wohnen. Es bedarf einer Mindestkenntnis deutscher Geschichte, um deutsche Zeitungen zu verstehen.

Die Akzeptanz der deutschen Kultur ist der Anteil, den die Einwanderer zu leisten haben, wenn Integration gelingen soll. Den anderen Teil haben die Einheimischen zu leisten durch Akzeptanz und Toleranz. Die Alternative zur Integration ist die Gettobildung. Die kann niemand wünschen, denn sie schafft Diskriminierung und zusätzliche Konflikte. Wer Integration nicht befördert, sondern verhindert sehen möchte, tut den Einwanderern nichts Gutes.

Nun hat der Vertreter einer rechtsextremen Partei den Ausdruck "deutsche Leitkultur" gelobt. Da sieht man doch, wohin der Ausdruck gehört: ausländerfeindlich ist er und rassistisch. Zu DDR-Zeiten wurde uns eingehämmert: "Wenn dein Feind dich lobt, hast du einen Fehler gemacht." Unsinn. Dann übergebe ich dem Gegner das Gesetz meines Handels. Immer nur tun und sagen, was der Gegner tadelt - schöne Freiheit.

Das alles ist eigentlich trivial. In Deutschland aber kann man wegen solcher Trivialitäten kleine Glaubenskriege veranstalten. Ausländer bestaunen diese Marotte deutscher politischer (Un-)Kultur. Zum Glück sind auch Kulturen lernfähig.

Der Autor lebt als freier Publizist in Berlin.

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