zum Hauptinhalt

POSITIONEN: Ethik statt Indoktrination

Die Initiative "Pro Reli" will mit einem Volksbegehren die Gesetzeslage verändern: die Schüler sollen zwischen Ethik und Religion "frei wählen können”. Damit wird suggeriert, dass dies bisher nicht möglich sei - "Pro Reli" irrt.

Was Wahlfreiheit betrifft, ist Berlin schon immer modern: In der Grundschule wählen Kinder und ihre Eltern evangelischen, katholischen, islamischen und jüdischen Religionsunterricht oder das Fach Humanistische Lebenskunde. Die Teilnahme ist freiwillig und 75 Prozent der Schüler nehmen diese Angebote an. In der Oberschule sind dies aber nur noch 25 Prozent – auch deshalb wurde vor zwei Jahren ab der Siebten Klasse das gemeinsame Fach Ethik eingeführt. Ergänzend dazu kann weiterhin Religion oder Lebenskunde frei gewählt werden.

Die Initiative „Pro Reli” will nun mit einem Volksbegehren die Gesetzeslage verändern: die Schüler sollen zwischen Ethik und Religion „frei wählen können”. Damit wird suggeriert, dass dies bisher nicht möglich sei. Tatsächlich läuft das Wahlpflichtmodell der Initiative auf die Abschaffung der derzeitigen Wahlfreiheit hinaus. In Zukunft sollen sich die Schüler zwischen Ethik- und Religionsunterricht entscheiden müssen. Beides zugleich wäre dann nicht mehr möglich. Pro Reli will das gemeinsame Fach Ethik zerschlagen und den konfessionellen Religionsunterricht im Rahmen eines Wahlpflichtmodells in den Status eines regulären Faches heben. Hier sollen keine kirchlichen Missionsinteressen im Spiel sein?

Was wäre die Konsequenz? Schüler würden gerade in der schwierigen Pubertätsphase weltanschaulich sortiert; Ethik zum Ersatzfach degradiert werden. Was wäre die Botschaft? Menschen unterschiedlicher Konfession können über ihren religiösen oder weltanschaulichen Sinn des Lebens miteinander nicht reden, ein Austausch zwischen den Kulturen ist nicht möglich. In etlichen Schulen in Kreuzberg oder Neukölln wäre der einzige Anbieter von Werteunterricht die Islamische Föderation. Das würde den Jugendlichen die Integration erheblich erschweren und eine Relativierung etwa tradierter Frauenbilder kaum ermöglichen.

Schule muss einen Rahmen liefern, in dem die großen menschlichen Ideen diskutiert werden können. Genau diesen Anspruch hat das Fach Ethik. Die Basis liefern die Menschenrechte, Toleranz und Freiheit. Die versprochene Wahlfreiheit von Pro Reli hindert die Schüler daran, sich auf dem Hintergrund der eigenen weltanschaulichen Tradition über gemeinsame Werte zu verständigen.

Auch staatlicher Religionsunterricht muss nach den Vorstellungen der Religionsgemeinschaften durchgeführt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1987 festgestellt. Danach ist der Religionsunterricht nur in „konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ zu erteilen, „sein Gegenstand ist der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ – also auch der Islamischen Föderation. Nur sie entscheiden letztlich auch, wer ihre Religion unterrichten darf. Es ist eine Illusion, durch Wahlpflicht eine stärkere inhaltliche Kontrolle durch den Staat erreichen zu können. Pro Reli tritt mit der Forderung nach mehr Wahlfreiheit an, macht aber die Wahl zur Pflicht.

Der Humanistische Verband bietet seinen Unterricht bereits für 45 000 Schülerinnen und Schüler in Berlin an. Zu unserer Freude hat Bildungssenator Zöllner betont, dass Religions- und Weltanschauungsunterricht eine Bereicherung der staatlichen Schule sein kann. Das entspricht unserem Selbstverständnis für die Humanistische Lebenskunde.

Getragen von der Überzeugung, dass Menschen in der Lage sind, sich aus eigener Kraft Regeln eines guten Zusammenlebens zu geben und ohne Jenseitsvorstellungen Glück zu erfahren und Unglück auszuhalten, bemühen wir uns, diese Grundgedanken Kindern und Jugendlichen nahezubringen. Religion und Lebenskunde müssen freiwillig sein und deutlich von staatlichen Schulfächern getrennt bleiben. Eben das unterscheidet uns von der Forderung nach Verstaatlichung des Religionsunterrichts, die Pro Reli durchsetzen will.

Der Autor ist Vorsitzender des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) in Berlin.

Bruno Osuch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false