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Positionen: Land ohne Lobby

Ende einer Ära: Die USA verlieren die Geduld mit Israel. Daran ändert auch Präsident Obamas überraschende Einladung an den israelischen Premier Benjamin Netanjahu nichts, Washington in der kommenden Woche zu besuchen.

Präsident Barack Obamas überraschende Einladung an den israelischen Premier Benjamin Netanjahu, kommende Woche nach Washington zu kommen, soll die gestörten Beziehungen zwischen Israel und den USA beruhigen. Doch gerade in diesem Moment gerät Netanjahu von unerwarteter Seite unter Druck: Die Unterstützung der liberalen Juden Amerikas gerät zum ersten Mal in der Geschichte ins Wanken, sie ist unter den amerikanischen jüdischen Intellektuellen so umstritten wie nie zuvor.

Für die neokonservativen Unterstützer Israels kam jede Kritik bisher dem Verrat gleich. Aber die Neocons, die meinten, der Weg zum Frieden im Nahen Osten führe über Bagdad und nicht über Jerusalem, sind in der Defensive. Und viele liberale Falken, die für den Irakkrieg waren, weil sie dachten, so den Nahen Osten demokratisieren zu können, sind desillusioniert angesichts von Israels fremdenfeindlichem und rechtem Nationalismus. In Washington hat sich gerade „J Street“ gegründet, eine Organisation, die sich für Frieden mit den Palästinensern ausspricht und sich als Gegengewicht zu dem einflussreichen „American Public Affairs Committee“ versteht. General Petraeus schickte Schockwellen durch die Hauptstadt, als er davon sprach, dass der israelisch-palästinensische Konflikt den islamistischen Terror verstärke und für den Tod von amerikanischen Soldaten in Afghanistan verantwortlich sei.

Aber vermutlich hat nichts die dramatische Veränderung so deutlich vor Augen geführt – und die neokonservativen Unterstützer Israels so schockiert – wie die Veröffentlichung eines Essays im „New York Review of Books“: Peter Beinart, der Verfasser von „The Failure of the American Jewish Establishment“ („Das Versagen des amerikanischen jüdischen Establishments“), war für den Irakkrieg, ist orthodox und war bis vor kurzem Redakteur des „New Republic“, einer eindeutig proisraelischen Zeitschrift. Beinart ist nun zu den Israelkritikern übergelaufen.

Sein stärkstes Argument lautet, dass über Israel ein Damoklesschwert hänge. Israel, behauptet Beinart, verliere dramatisch an Unterstützung bei den jungen liberalen Juden Amerikas, die sich davon abgestoßen fühlen, dass das Land liberale Werte mit den Füßen trete und Rassismus gegenüber den Palästinensern und den israelischen Arabern betreibe: „Seit mehreren Jahrzehnten bittet das jüdische Establishment die amerikanischen Juden ihre liberale Haltung gegenüber dem Zionismus zu drosseln, und stellt nun zu seinem Horror fest, dass viele junge Juden stattdessen ihren Zionismus drosseln.“ Beinart behauptet darüber hinaus, dass sich „die organisierte amerikanische jüdische Gemeinschaft meistens nicht nur nur mit öffentlicher Kritik an Israel zurückhält, sondern zudem alle anderen davon abhält, Kritik zu äußern“.

Diese Ära kommt an ihr Ende. Beinart kann man kaum des Antiisraelismus oder des Antisemitismus bezichtigen – ein Vorwurf, der zu oft von den Israelverteidigern benutzt wird. Beinart wurde trotzdem sofort beschuldigt, einen „pseudo-mutigen“ Text geschrieben zu haben und die Verbrechen der Palästinenser zu ignorieren.

Das ist Unsinn. Auch wenn Republikaner wie Sarah Palin, die für einen Krieg gegen den Islamofaschismus wirbt, jeden brandmarken, der auch nur das kleinste Unwohlsein über Israel äußert, ist es kein Zufall, dass Obama die Siedlungen unbeschadet kritisieren konnte: Die moralische, intellektuelle und politische Landschaft der USA hat sich verändert.

Als derjenige israelische Führer auf der Rechten, der über die Glaubwürdigkeit verfügt, mit den Palästinensern Frieden zu schließen, sollte Netanjahu wissen, dass die Zeit gegen ihn spielt. Die Geduld Amerikas kommt an ihr Ende. Mit seinem Versuch, den Friedensprozess zu beleben, bietet Obama Israel die Möglichkeit, zu seinen nobelsten Idealen zurückzukehren. Statt ihn anzugreifen, sollten die Israelis erkennen, dass Obama ihre beste Chance für die Zukunft darstellt.

Der Autor ist Senior Editor beim „National Interest“.

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