zum Hauptinhalt

Meinung: Positionen: Nach dem "Aussitzen" das "Prinzip Direkt"

Spontaneität reüssiert nicht immer. Die positiven Ausnahmen wurden zu historischen Legenden.

Spontaneität reüssiert nicht immer. Die positiven Ausnahmen wurden zu historischen Legenden. Brandts Kniefall oder Netzers Selbsteinwechslung. In der Politik geraten spontane Reaktionen besonders gern daneben. Gerade hat BfA-Präsident Jagoda Schröders Faulenzer-Schelte ins Reich der Rohrkrepierer verwiesen.

Doch viele schätzen am Kanzler gerade seine Resolutheit in Wort und Tat, nachdem sie vom Attentismus Kohls häufig genug auf die Folter gespannt worden waren. Wo dem Pfälzer das Image des Aussitzers nachhing, gilt der Niedersachse als Schnellschütze. Der eine reagierte abwartend, der andere pflegt Direktheit. Kohl demonstrierte Gelassenheit, Schröder legt Wert auf Entschlusskraft. Auf der einen Seite der ruhende Pol, den nichts erschüttern kann. Auf der anderen Seite der Feuerwehrmann, der nichts anbrennen lassen will.

Kohls Aussitzen geriet über die Jahre seiner langen Kanzlerschaft zum polemischen Klischee seiner Gegner. In Wahrheit verbarg sich dahinter seine schier unumstößliche Stärke. Sich unbeeindruckt zu zeigen von den noch so lautstark vorgetragenen Forderungen des politischen Gegners, die sterilen Aufgeregtheiten des politischen Alltags an sich abprallen zu lassen, damit schuf Helmut Kohl sein Image als Machtmensch. Er formierte die Seinen, die sich unter ihm geborgen fühlten, und genoss das Gefühl, dass alle wichtigen Entscheidungen auf ihn zuliefen.

Solange das Aussitzen einer wohl kalkulierten Trotzreaktion entsprach, konnte Kohl damit im eigenen Lager punkten. Erst als er notwendige Reformen dem konservativ-liberalen Koalitionsfrieden und seinem bloßen Machterhalt zu opfern schien, geriet das Prinzip des Aussitzens zum regierungsbedrohlichen Risiko - mit der schwerwiegenden Konsequenz des Regierungsverlustes vom September 98.

Ganz anders Schröder. Ob Kampfhunde in Hamburg oder Ausländerfeinde im Osten, NPD oder BSE, Fußballtransferbestimmungen oder Arbeitslosenzahlen - der Kanzler reagiert sofort. Nichts scheint ihm wichtiger als der Eindruck seiner Tatkraft, die mediale Duftmarke seiner administrativen Präsenz. Mit dem "Prinzip Direkt" hat Schröder viele demoskopische Pluspunkte gesammelt. Was er manchen Arbeitslosen vorzuhalten pflegt, nämlich sich auf die faule Haut zu legen, trifft sicher nicht auf sein spontan erworbenes Image zu. Der Bürger soll erkennen: Hier kümmert sich einer. Und zwar bald.

Zum Beispiel landete er mit dem Krisenmanagement zur Agrarwende einen Volltreffer im Fernduell mit Bayerns unglücklich agierendem Edmund Stoiber. Holzmann wurde medienwirksam saniert, eine Kampfhundeverordnung mit heißer Nadel zusammengeflickt, ein Verbotsantrag gegen die NPD aus dem Boden gestampft.

Im intellektuellen Umfeld Schröders nennt man dies die "neue Respondenz der Politik". Darunter ist nicht nur eine administrative Zäsur, sondern mehr noch eine Prägung der Zeit zu verstehen. So spricht der Soziologe Heinz Bude von einer dramatischen "Veränderung der Zeitregimes" mit der unausweichlichen Konsequenz eines "permanenten Testcharakters von Politik". Regierungsparteien müssten ständig den Test beim Wahlvolk machen, ob sie richtig lägen und nicht nur auf eine geschönte Vierjahresbilanz spekulieren, wie dies zu Kohls Zeiten noch gängige Praxis war.

Schröder hat mit seinem Hang zu Lösungen für überschaubare Zeiten gerade viele Sozialdemokraten irritiert, die zu langfristigen Perspektiven und Programmentwürfen für die Ewigkeit neigen.

Doch mit seiner jüngsten Einlassung zur angeblichen Faulenzerei von Langzeitarbeitslosen ist der Kanzler auf die populistischen Grenzen seiner "Respondenz" gestoßen. Wie Jahre zuvor - als er straffällig gewordenen Ausländern ein "Raus - und zwar sofort!" entgegenschleuderte, was schon juristisch gar nicht möglich ist, aber an den Stammtischen sicher gut rüberkam.

Schröder glich mit seinem polemischen Schnellschuss zum ersten Mal seinem selbstgerechten Amtsvorgänger. Nämlich sich Sündenböcke für unliebsame wirtschaftliche Entwicklungen zu suchen. Auch Kohl lamentierte in kritischen Zeiten über den "Freizeitpark Deutschland", ohne dass er damit eine besonders gehaltvolle Debatte angestoßen hätte. Wehe, wenn ökonomische Prognosen im Gegensatz zur hohen Meinung von der eigenen Regierungskunst stehen.

Jede Direktheit hat ihren populistischen Preis. Und jedes Aussitzen seine langfristige Wirkung. Auch die Wahrheit der Regierungskunst liegt vermutlich in der Mitte. Nicht in der alten Mitte einer als Stärke missverstandenen Dickfelligkeit. Aber auch nicht in der Neuen Mitte einer medial wirksamen Rasanz. Wie definierte doch der Philosoph Horkheimer Spontaneität: Sie sei "direktes Verstehen und nicht bloß diffuses Empfinden".

Norbert Seitz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false