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POSITIONEN: Nordirak: Der Krieg liegt in der Luft

Ein neuer Nahostkonflikt? Beobachtungen eines Krisenmanagers vor Ort Von Thomas v. der Osten-Sacken

Hält man sich dieser Tage im Irak auf, möchte man manchmal resignieren. Denn kaum hat sich die Lage im Zentralirak ein wenig beruhigt – Angaben des amerikanischen Militärs zufolge gab es im Oktober so wenige Anschläge wie seit zwei Jahren nicht mehr – bahnt sich die nächste Krise an. Nun droht die Türkei mit dem Einmarsch ihres Militärs im kurdischen Nordirak, vorgeblich um von dort operierende Einheiten der kurdischen PKK zu zerschlagen. Mit einer solchen Aktion aber würde der bislang weitgehend ruhige Norden des Landes nachhaltig destabilisiert, ohne dass der PKK in den unwegsamen kurdischen Bergen auch nur ansatzweise geschadet werden würde.

Auf den ersten Blick scheint der Konflikt unausweichlich. Auf allen Seiten wird die nationalistische Propagandatrommel gerührt, 100 000 türkische Militärs sind an der Grenze aufmarschiert, Ankara droht offen mit einem für die ganze Region verheerenden Wirtschaftsboykott des Irak. Dieser Tage mobilisiert die kurdische Regionalregierung 20 000 Milizionäre an die Grenze. Kriegsstimmung liegt in der Luft: Überall im Nordirak melden sich Freiwillige zum Kampf gegen die „türkischen Besatzer“, erste Stimmen fordern einen Boykott türkischer Waren.

Droht ein weiterer „Nahostkonflikt“, diesmal nur zwischen der Türkei und den irakischen Kurden? Zweifel sind bislang angebracht: Wirft man einen zweiten Blick auf die Debatten und vor allem Taten auf beiden Seiten, hört man Zwischentöne, die auch in der Türkei erstaunlich moderat ausfallen. Es ist keineswegs nur Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der sich nicht wirklich für ein militärisches Abenteuer erwärmen kann, auch in der öffentlichen Debatte finden sich viele warnende Stimmen, die auf eine diplomatische Lösung drängen.

Anders als im israelisch-palästinensischen Konflikt hat es in der Kurdenfrage beachtliche Fortschritte gegeben. Noch vor 15 Jahren negierte die offizielle Türkei überhaupt die Existenz der kurdischen Bevölkerungsgruppe, in Südostanatolien herrschte Gewalt, während im Irak Saddam Hussein regierte, der einst die Kurden mit Giftgas bombardierte und Hunderttausende umbringen ließ.

Heute sitzen im Parlament in Ankara immerhin Vertreter der prokurdischen Partei DTP und die herrschende islamische AKP zeigt größere Bereitschaft, den Kurden mehr Rechte zuzugestehen als ihre kemalistischen Vorgänger.

Auf der anderen Seite der Grenze existiert der qua irakischem Recht bestehende Bundesstaat Kurdistan, der anders als weite Teile des Restirak weithin als Erfolgsmodell gilt. Handel und kultureller Austausch zwischen Irakisch-Kurdistan und der Türkei blühen, durch den regen Grenzverkehr profitieren auch die unterentwickelten Teile Südostanatoliens.

Diese Entwicklung stört nicht nur die nationalistischen Hardliner in der Türkei, sondern auch die PKK, die ihren Einfluss schwinden sieht. Beide brauchen den Terror und die ständige Unsicherheit, um sich zu behaupten. So wären sie wohl die einzigen Gewinner eines militärischen Abenteuers.

Bei den Konflikten, die jetzt zu eskalieren drohen, geht es auch um die zukünftige Verfasstheit des Nahen Ostens. Die irakische Opposition hat 2003 ein für die Region revolutionäres Konzept vorgestellt: die Schaffung eines föderalen und demokratischen Staates, um im Rahmen bestehender Nationen sowohl die Rechte des Einzelnen, als auch der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu garantieren. Das ist angesichts der Gewalt gegen Minderheiten und der unzähligen Kriege im Nahen Osten ein in die Zukunft weisendes Konzept auch für die anderen Staaten der Region, die Türkei eingeschlossen.

Um aber dieses Konzept glaubhaft zu vertreten, müssen die irakischen Kurden ihrem Nachbarn deutlich machen, dass es ihnen mit dem Föderalismus ernst ist, und sie ihr Autonomiegebiet nicht nur als Übergangslösung für die Schaffung eines kurdischen Staates betrachten. Dies hieße auch allen „großkurdischen“ Ambitionen abzuschwören und alles zu unternehmen, dass die PKK entwaffnet wird und sich lediglich politisch im Irak betätigen darf.

Die jüngste Eskalation ist eben auch Ausdruck, dass es um den Kampf zwischen Alt und Neu, zwischen Zukunft und Vergangenheit geht. Die Fronten verlaufen deshalb nicht nur an der türkisch-irakischen Grenzen, sondern innerhalb des türkischen Establishments ebenso wie quer durch die kurdischen Parteien.

Gerade die Türkei steht am Scheideweg: setzt sich der militärische Populismus durch, hätte dies nicht nur für die Kurden, sondern für die Zukunft der ganzen Region verheerende Folgen. In diesem Konflikt könnten die EU und Deutschland eine konstruktive und vermittelnde Rolle spielen, denn anders als im Iran gibt es sowohl in der Türkei wie im Irak genügend Dialogpartner, die weiter auf ein friedliches Ende der Krise setzen. Einmal mehr aber scheint Europa die diplomatische Initiative anderen zu überlassen. Dabei gälte es gerade jetzt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, dass diese Krise in einen zweiten hoffnungslosen Nahostkonflikt eskaliert.

Der Autor ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation Wadi e. V. und zurzeit im Nordirak.

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