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POSITIONEN: Odysseus in Seenot

Wie die griechische Wirtschaft wieder flottgemacht werden kann.

Angela Merkel schleudert ihre Blitze auf die Akropolis. Der freche Grieche soll für sein Leben in Saus und Braus büßen. Mit drastischen Folgen: In Athen werden Ouzo und Tabak teurer, Staatsdiener hingegen billiger. Dimitris und Xenia müssen zukünftig länger arbeiten und bekommen eine niedrigere Rente. Um vier Prozent soll das Haushaltsdefizit allein im laufenden Jahr sinken. Die Zwangsdiät hat jedoch große gesundheitliche Risiken und Nebenwirkungen.

Das Brüsseler Spardiktat verurteilt die Griechen zu einer ökonomischen Irrfahrt. Doch anders als im Heldenepos „Odyssee“ gibt es diesmal kein gutes Ende. Die griechische Wirtschaft schrumpft noch immer. Wenn dem hellenischen Wirtschaftskreislauf jetzt noch weitere Milliarden Euro entzogen werden, droht der Stillstand. Zwei bis vier Prozent Wachstumsverlust kostet der Sparkurs. Weniger Wachstum bedeutet mehr Arbeitslose, weniger Steuern und höhere Schulden.

Wenn aber Odysseus in Seenot gerät, droht auch der Eurotanker leckzuschlagen. Seitdem der Pleitegeier über der Akropolis kreist, geht in den Frankfurter und Pariser Glaspalästen die Angst um. Griechenland steht allein bei Ackermann, Blessing & Co mit 43 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Der heimischen Industrie geht es nicht viel besser. Für über 100 Milliarden Euro kaufen Südeuropäer und Iren jährlich deutsche Autos, Maschinen und Anlagen.

Kurzum: Es kann nur eine gemeinsame europäische Lösung geben. Zunächst müssen die Griechen aus der Geiselhaft der Finanzmärkte befreit werden. Goldmann Sachs – die ehemaligen Schuldenberater der Hellenen –, JP Morgan & Co wetten mit Kreditderivaten auf die Pleite Griechenlands. Ratingagenturen, die noch kürzlich Giftpapiere mit Bestnoten versahen, schreiben Athen in Grund und Boden. Die Risikoprämien steigen. Dabei hätten die Angriffe der Spekulanten verhindert werden können. Hätten die europäischen Staatenlenker und Währungshüter beherzt eingegriffen – mit Eurobonds, Beistandskrediten oder Finanzhilfen –, wäre das Casino heute noch leer.

Auf regulierten Kreditderivatemärkten und mit entmachteten Ratingagenturen hätten die Zocker nur noch halb so viel Spaß gehabt. Das reicht aber nicht aus. Die griechische Wirtschaft muss wieder flott gemacht werden. Aus eigener Kraft geht das nicht. Das Euroland ist eine Zweiklassengesellschaft. Hoch produktive Teutonen und Gallier belegen die Beletage. Griechen, Spanier und Italiener müssen im Keller wohnen.

Ursäch lich ist die unterschiedliche Lohnentwicklung. Im Hochproduktivitätsland Deutschland kommen die Löhne kaum vom Fleck. In der Ägäis klettern die Löhne stärker als die Produktivität. Nur um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Auf der griechischen Party waren nicht alle eingeladen. Jeder fünfte Grieche lebt in Armut. Kräftige Lohnzuwächse weniger Spitzenverdiener sorgten für steigende Durchschnittslöhne.

Seit dem Start der Währungsunion sind die griechischen Lohnstückkosten – das Verhältnis von Löhnen zu Produktivität – explodiert. Sie stiegen bis 2008 zehnmal so stark wie hierzulande. Folglich werden deutsche Produkte immer billiger, griechische Waren verteuern sich. Während immer mehr Porsche und BMW durch Athen und Thessaloniki rollen, trinkt der deutsche Michel immer weniger griechischen Wein. Das ist nicht gesund.

Folglich eilen die deutschen Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse von Gipfel zu Gipfel. Gleichzeitig versinken Griechenland, aber auch Spanien, Italien und Portugal im Schuldenmeer. Da ist guter Rat teuer. Abwerten geht nicht mehr. Sparen und Löhne runter würgt den Wachstumsmotor ab. Nur wenn hierzulande Löhne und Staatsausgaben wieder stärker steigen, hat das südliche Euroland eine realistische Chance auf höhere Exporte. Wenn wir aber so weitermachen wie bisher, droht nicht nur den Griechen eine Odyssee ohne Happy End.

Der Autor ist Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Dierk Hirschel

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