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Meinung: Positionen: Outing jetzt!

Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit sagt: "Ich bin schwul!" Bundestagspräsident Thierse redet auf der Abschlusskundgebung des Christopher Street Day (CSD) in Berlin.

Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit sagt: "Ich bin schwul!" Bundestagspräsident Thierse redet auf der Abschlusskundgebung des Christopher Street Day (CSD) in Berlin. In Köln wird CDU-Oberbürgermeister Schramma jubelnd auf dem CSD gesichtet. Ja, wir leben in Zeiten, in denen manchem Aktivisten in der Schwulenbewegung seine in früheren Zeiten einmal selbst verliehene Bestimmung verlustig zu gehen droht. Und die erstaunten Mediennutzer müssen sich seit Wowereits Bekenntnis mit einem Thema auseinandersetzen, das sie vorher kaum interessiert hat. Die Frage, ob sich jetzt auch andere Politiker outen sollen, ist so eine Frage. Gleichwohl ist sie wichtig. Ich sage: Ja, outen Sie sich! Und zwar schnell. Doch gerade bei den beiden Volksparteien wird diese Aufforderung kaum auf fruchtbaren Boden stoßen. Warum eigentlich nicht?

Ich habe in der aktuellen Ausgabe des "Stern" nach Antworten gesucht, denn da bekennt ein "bekannter CDU-Politiker", dass er schwul sei. Dies natürlich anonym. Und in nur begrenzten Umfange zitierfähig, denn das, was der mir bekannte "CDU-Politiker" an Argumenten für sein anonymes Outing vorbringt, ist nicht neu. Ich bin dafür, dass das öffentliche Versteckspiel der anonymen Schwulen in der Politik endlich ein Ende hat, weil ein freiwilliges Outing niemandem schaden und vielen nützen würde.

Als ich vor acht Jahren - damals war ich Sprecher der Jungen Union Deutschlands - mich im "Spiegel" outete und hiernach mit einigen Freuden die "Schwulen Gruppe in der Union" gründete, gab es nur wenige in der CDU, die mich beschimpften. Es sind übrigens dieselben, die noch heute wenig Qualifiziertes von sich geben und sich mit ihren Scheinargumenten bei jedem aufgeklärten Menschen, sei er nun schwul oder hetero, schlicht und ergreifend lächerlich machten. Robert von Rimscha hat es am Samstag in dieser Zeitung auf den Punkt gebracht: Schwule werden nicht kritisch beäugt, weil sie schwul sind, sondern weil sie ewig darüber reden müssen. Das stimmt in den Metropolen, in Köln, Hamburg oder Berlin, wo mancher so langsam den Eindruck gewinnt, dass er sich für seine Heterosexualität entschuldigen muss.

Doch wenn ich sage, outet euch, ihr Politiker, dann habe ich den Schwulen im sächsischen Mittweida, im rheinland-pfälzischen Güls oder im thüringischen Ohrdruf vor Augen. Ich kenne einige schwule CDU-Politiker, die sich nicht in erster Linie durch ihre sexuelle Neigung auszeichnen, sondern durch ihre Parteiarbeit und ihren Einsatz für die Bürgerinnen und Bürger. Einige haben sich in der Bevölkerung durch ihr Tun sogar eine Art Vorbildfunktion erarbeitet. Was geschähe wohl, wenn sie sich morgen outen würden? Ich sage, dass sie keinen Karriereknick erleiden würden, weil in dieser Frage die Gesellschaft schon seit etlichen Jahren weiter ist als die Volksparteien. Und würde er tatsächlich einen Karriereknick hinnehmen müssen, dann wäre es in der Öffentlichkeit nicht der homosexuelle Politiker, der ins Feuer geriete, sondern die für den Karriereknick verantwortliche Parteispitze. Es wäre also ein Lackmustest, der beweisen könnte, wie eine Partei mit ihren Politikern umgeht.

Politiker würden mit ihrem Outing der Homosexualität also etwas Normales verleihen, eine Normalität, die dem Schwulen gerade in der Provinz durchaus helfen würde. Das nämlich, was am CSD auf dem Kurfürstendamm abläuft, ist nur sehr bedingt die schwule Realität. Schwule Realität findet auch außerhalb der Großstädte statt, und dem Schwulen in Mittweida, Güls oder Ohrdruf schadet das schrille Geschehen auf dem CSD eher als es hilft. Schließlich kann nicht jeder nach Berlin ziehen. Nein, er braucht "Anwälte" an seiner Seite, die der Homosexualität den Stempel des Normalen aufdrücken, Politiker eben, die öffentlich sagen: "Ja, auch ich bin schwul. Und jetzt lasst mich in Ruhe meine Arbeit weitermachen!"

Und dieser Stempel des Normalen gilt übrigens auch für den Politiker, der sich deshalb nicht outet, weil er promisk lebt und/

oder beim Ausleben seiner Homosexualität besondere Vorlieben hat. Solange dieser Politiker nicht laufend in den Medien über Treue und den Wert der Familie etc. schwadroniert, würde er kaum behelligt werden. Wir haben in den Medien hierzulande keine englischen Verhältnisse!

Nur dann also, wenn sich durch das freiwillige Outing von Politikern eine natürliche Offenheit breitmachen kann, wird die Gleichung "Homosexualität = Besonderheit", über die an jeder Ecke geredet werden muss, nicht mehr aufgehen. Und dann werden auch Beiträge wie dieser überflüssig.

Holger Doetsch

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