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POSITIONEN: Schneller im Westen

Die gute Infrastruktur im Osten treibt die Verödung voran.

Dem Osten Deutschlands laufen scharenweise die jungen Leute weg. Ganze Landstriche drohen zu veröden, weil junge Frauen und auch Männer wegziehen, um im Süden und Südwesten der Republik ihr Glück zu finden. Der demografische Wandel vollzieht sich daher im Osten Deutschlands wie in Zeitraffer: Weil die Jungen wegziehen, gehen die Geburtenzahlen noch drastischer zurück und übrig bleiben dann nur noch die Alten. Bis zum Jahre 2050 wird die Bevölkerung in den neuen Ländern einschließlich Berlin nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes auf unter neun Millionen fallen.

Eine Studie des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel hat untersucht, welche Auswirkungen das für den Verkehr hat. Landkreis für Landkreis wurden die zu erwartende Verkehrsmenge ermittelt und bis zum Jahre 2030 unter verschiedenen Annahmen für ganz Deutschland hochgerechnet. Das Ergebnis: Die Verkehre werden sich völlig unterschiedlich entwickeln. Während der Ballungsraum München oder die Region um Stuttgart auch bis 2030 mit einem Verkehrswachstum von bis zu 15 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2005 rechnen kann, müssen ganze Regionen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburgs von einem Verlust von bis zu 50 Prozent ausgehen. Deutschland wird mit einer Gleichzeitigkeit des Wachsens und des Schrumpfen konfrontiert: Metropolregionen im Süden werden boomen, ganze Landkreise vorwiegend im Osten implodieren.

Da passt auch die Infrastruktur nicht mehr. Ganz grob kann man sagen, dass bis zum Jahre 2030 nur rund ein Drittel der Landschaften und Städte eine bedarfsgerechte Versorgung mit Straßen und Schienen hat. Ein weiteres Drittel ist völlig unterversorgt, weil die Mengen an Personen und Gütern mit den bestehenden Schienen- und Straßeninfrastruktur nicht zu bewältigen sind und hohe Staukosten entstehen. Ein weiteres gutes Drittel ist dagegen völlig „überversorgt“ mit modernen Straßen, Schienen, Kanälen und Flughäfen. Beispiel Berlin: Die Hauptstadt profitiert von einer infrastrukturellen Überversorgung mit Bahnhöfen und Flughäfen. Die Träume, dass die Hauptstadt einmal sechs, oder doch wenigstens 4,5 Millionen Menschen beherbergen würde, sind längst ausgeträumt. Nach allen vorliegenden Ergebnissen wird es bis 2030 bestenfalls eine Stagnation in Berlin sowie den umliegenden Kreisen geben. Die Prignitz oder der Landkreis Elbe-Elster werden bis dahin einen großen Teil ihrer Bevölkerung verlieren und kaum noch als besiedeltes Gebiet gelten können. Wer die vielen Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen in den neuen Ländern benutzen und wer in die Züge einsteigen soll, bleibt genauso ein Geheimnis wie die Frage, wer den dann fertiggestellten Großflughafen benutzen soll.

Das Erstaunliche daran ist aber, dass trotz Milliarden an Investitionen, die Disparitäten weiter zunehmen. Obwohl der Osten Deutschlands über ein dichtes und modernes Straßen- und Schienennetz verfügt, das in Europa seinesgleichen sucht und immer als Garant für wirtschaftliche Prosperität galt, bleibt ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum aus. Nicht einmal zehn Prozent aller Forschungs- und Entwicklungsgelder der gewerblichen Mittel sind 2008 in die neuen Länder geflossen. Was wir gerade lernen – aber immer wieder zu verdrängen versuchen –, ist die Tatsache, dass je mehr wir in die Infrastruktur investieren, umso stärker sinkt offenbar der „Widerstand des Raumes“: Wenn man den Ort schneller verlassen kann, erhöht sich die Bereitschaft eine Arbeit im Süden oder Westen oder im Ausland anzunehmen; doch aus jungen Pendlern werden schnell wieder Sesshafte, aber eben nicht mehr im Osten.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der alte Planungsgrundsatz „Infrastruktur ist nicht alles, aber ohne Infrastruktur ist alles nichts“ nicht mehr gilt. Mehr Straßen und schnellere Bahnverbindungen sind keine Lösung mehr. Die alten westdeutschen Rezepte funktionieren für den Osten nicht mehr. Gebraucht wird ein völlig neues Verständnis von räumlicher Entwicklung.

Der Autor ist Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ).

Andreas Knie

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