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POSITIONEN: Wann, wenn nicht jetzt?

Europa muss die USA zu einem neuen Anfang drängen

Deutschland hat in der Finanzkrise gehandelt, und auch Europa hat seine Handlungsfähigkeit bewiesen. Die Entscheidung über die notwendigen Maßnahmen in unserem Land ist zur Bewährungsprobe unserer demokratischen und föderalistischen Staatskultur geworden. Bundeskanzlerin und Finanzminister haben ungeachtet des Auseinanderlebens der Koalition in dieser Frage gemeinsames und verantwortliches Handeln möglich gemacht. Der FDP-Vorsitzende Westerwelle hat unter Beweis gestellt, dass ein klares politisches Profil der Opposition in der Stunde der Not die Unterstützung der Regierung durchaus möglich macht. Es beeinträchtigt nicht die Aufgabe der Opposition, ein wachsames Auge auf die Durchführung der vom Parlament getroffenen Entscheidungen zu haben.

Bei dem Besuch in den USA haben der Präsident des Europäischen Rates und der Präsident der Europäischen Kommission einen zögernden George W. Bush auf die Linie multilateralen Handelns festgelegt. Die geplanten Finanzgipfel eröffnen eine neue Perspektive. Die Tatsache, dass die erste Zusammenkunft nach der Präsidentenwahl stattfindet, gibt ihr einen gänzlich neuen Charakter, auch wenn Bush noch bis Januar 2009 amtiert. Der neue Präsident wird sich der ganzen Wucht einer großen Herausforderung gegenübersehen. Europa muss jetzt seine Erwartungen an den neuen Präsidenten formulieren. Dabei wird die Stimme der Bundesrepublik besonders gefragt sein. Es geht keineswegs nur um die Frage einer globalen Finanzordnung, es geht um alle Aspekte einer neuen Weltordnung. Der Schock, den die Finanzkrise ausgelöst hat, hat aber das Verständnis dafür geweckt, dass Unilateralismus ein Vergangenheitsmodell ist. Und wichtiger noch, dass die Wirkungen des Handelns eines Landes im Guten wie im Schlechten Auswirkungen auf den Rest der Welt haben. Diese sind umso stärker, je größer das Land ist.

Die gute Absicht der Finanzgipfel wird sich nicht verwirklichen lassen, wenn die künftige Finanzarchitektur, wenn die globalen Rahmenbedingungen des Handelns von den westlichen Industriestaaten dem Rest der Welt auferlegt werden sollten. Davon die gegenwärtige Administration in Washington zu überzeugen, ist Aufgabe der Europäer.

Die nun seit Jahren geführte Debatte über die Aufnahme neuer Global Player wie China, Indien, Brasilien und anderer, regionale Kooperationen eingeschlossen, in die erweiterten G 8 muss zur positiven Entscheidung gebracht werden. Von-Fall-zu-Fall-Einladungen – etwa als Nothelfer wie jetzt – reichen nicht aus. Wenig ist davon zu hören, mit welchem hohen Maß an globaler Verantwortung China und Indien einerseits, Russland unter ganz anderen Bedingungen andererseits in den letzten Wochen gehandelt haben.

Verlangt ist jetzt die Rückkehr zu den Grundwerten einer sozialen Marktwirtschaft und ihrer Verwirklichung im Weltmaßstab. Nicht diese Ordnung ist falsch, sondern Unzulänglichkeit oder auch Anmaßung mancher staatlicher Akteure und auch solcher in der globalen Finanzwirtschaft haben die Weltfinanzmärkte erschüttert. Natürlich hat es auch bei der Europäischen Union manchmal an dem notwendigen Handlungswillen gefehlt. Dennoch müssen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht den Vorwurf der Anmaßung gegenüber anderen machen. Das gibt ihnen das Recht, jetzt mahnend und zugleich überzeugend zu agieren. Dabei darf nicht vergessen werden: Globale Kooperation ist nicht nur auf den Finanz- und Wirtschaftsmärkten gefordert, sondern auch bei dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, bei der Armutsbekämpfung, bei Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus.

Wann, wenn nicht jetzt ist die Gelegenheit gegeben, das weltweit verständlich zu machen und zu diesem gemeinsamen Handeln den neuen Präsidenten der uns so eng verbundenen USA einzuladen. Hier bietet sich die Gelegenheit zu einem neuen Anfang in der europäisch-amerikanischen Partnerschaft. Dieser neue Anfang ist dringend geboten.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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