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Positionen: Wer sich abgrenzt, grenzt sich ein

Neue Mächte, neue Märkte, alte Regeln: Der Westen agiert zu defensiv.

Ihr seid mir schöne Republikaner“, rief der letzte sächsische König aus, als er zum ersten Mal nach seiner Abdankung wieder nach Dresden kam, wo ihm eine große Menschenmenge auf dem Bahnhof zujubelte. „Ihr seid mir schöne Marktwirtschaftler“, möchte man ausrufen, angesichts westlicher Reaktionen auf die Aktivitäten neu aufkommender ökonomischer Kraftzentren: Bemühungen der Chinesen durch Investitionen in Afrika ihre Energieversorgung zu sichern und in anderen Teilen der Welt auch die Rohstoffversorgung. Umgekehrt die russische Energiepolitik in Asien und Europa. Und schließlich die Aktivitäten staatlicher oder staatlich kontrollierter Finanzfonds, seien es chinesische oder russische, in aller Welt Industriebeteiligungen zu erwerben.

Das sind die Folgen einer immer stärker zusammenwachsenden Weltwirtschaft, mit immer größerer globaler Interdependenz. Hier liegt aber auch die Chance, durch globale Kooperation bei den neuen Global Playern systemöffnend zu wirken. Die Alternative wäre systemkonservierende Konfrontation.

Was aber geschieht? Verhandlungen über eine Ausweitung des freien Welthandels scheitern. Überholtes Klienteldenken lässt EU und USA an Agrarexportsubventionen festhalten, die das Wachstum der Agrarwirtschaft in anderen Teilen der Welt behindern. Das wirkt dort wohlstandshemmend, es verhindert dort das Entstehen von Kaufkraft für den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen aus den Industrieländern. Wir verschwenden die Finanzmittel, die wir dringend für Bildung, Wissenschaft und Forschung brauchen. Im globalen Wettbewerb aber brauchen wir Zukunftsinvestitionen zu Hause. Angela Merkel wäre in der WTO gewiss weiter gegangen, als das in der EU derzeit möglich ist.

Westliche Unternehmen halten es seit langem für selbstverständlich, Rohstoffe und Energievorkommen in den Ursprungsländern auszubeuten. Dass diese Länder das zunehmend selbst tun wollen, oder dass sie ihren Rohstoff- und Energiebedarf durch Auslandsinvestitionen sichern – wie wir das seit langem tun –, sollte eigentlich auch selbstverständlich sein. Das zu dämonisieren oder Zuflucht in Abwehrstrategien zu suchen, ist altes Denken. Die Zukunft liegt in einer offenen Welthandelspolitik und wirtschaftlicher Verflechtung zu fairen Bedingungen.

Eine multipolare Weltordnung verlangt Transparenz durch multilaterale Vereinbarungen, vor allem für die Finanzmärkte, und faire Rahmenbedingungen für Waren- und Dienstleistungsmärkte. Dabei ist die Diversifikation eine der marktwirtschaftlichen Antworten auf Monopolstreben. Klimapolitik, wie sie die Bundeskanzlerin mit Festigkeit vertritt, ist auch ein Beitrag zu reduzierter Importabhängigkeit – wenn nur der Energiemix stimmt. Hier wäre größere Flexibilität bei der Nutzung der Kernenergie geboten.

Im Übrigen ist das Kartellrecht Ludwig Erhards eine wirksame Waffe gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht. Die Gestaltung der Rahmenbedingungen einer globalen Weltwirtschaft in seinem Geist verlangt kreative Initiativen und nicht marktfeindliche Abgrenzung. Die EU-Kommission ist hier mutiger als mancher Mitgliedstaat.

Neue Kraftzentren entstehen überall, die Antwort des Westens kann nicht in defensiven Strategien und Besitzstandsstreben bestehen. Wer sich abgrenzt, grenzt sich selbst ein. Notwendig ist Vertrauen in die Kraft der Freiheit. Darin habe ich vertraut, als es darum ging, mit der KSZE den sozialistischen Machtanspruch der Sowjetunion durch systemöffnende Zusammenarbeit zu überwinden.

Nicht Rückzug von den eigenen Werten, sondern ihre globale Durchsetzung ist das Gebot der Stunde. Die neue kooperative Weltordnung ist Gestaltungsaufgabe. Das verlangt die gleichberechtigte Mitwirkung aller Weltregionen und nicht Dämonisierung der neuen Wettbewerber, wenn sie überall als gerecht empfunden werden soll. Die Bundeskanzlerin hat in Heiligendamm mit der Einladung der Repräsentanten der neuen Global-Player-Staaten und -Regionen Maßstäbe gesetzt: Sie bedeuten auch Vertrauen in Freiheit und Marktwirtschaft.

Der Autor war Außenminister von 1974 bis 1992.

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