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POSITIONEN: Wir sollten uns am Bau einer neuen Weltordnung beteiligen

Man darf gewiss nicht blind sein für die Probleme in Russland oder in China – oder ganz andersartig im Nahen und Mittleren Osten. Aber jeder sollte sich fragen, wie sie am besten überwunden werden können.

War das alles in Bukarest und in Sotschi? Wie steht es mit der Ratifikation des KSE-Vertrages durch die Nato-Partner? Wo bleibt die seit 40 Jahren versprochene nukleare Abrüstung der Atommächte? Wie sieht die Nato die Zukunft derjenigen Atommächte, die trotz Nichtverbreitungsvertrag entstanden sind? Werden sie als ersten Schritt ihre Atomrüstung einfrieren und jede Weiterverbreitung unterlassen? Und für die Zukunft des Bündnisses besonders wichtig: Wie sieht die Nato ihre eigene Rolle in einer sich grundlegend veränderten Welt? Das westliche Bündnis braucht wieder ein politisches Konzept, wie es das zur Überwindung des Kalten Krieges im Harmel-Bericht hatte – ein Harmel II also.

In Sotschi haben nicht zwei abtretende Präsidenten Nettigkeiten ausgetauscht. Zwei gravierende Unterschiede bestehen: Der eine geht – und das für immer, der andere bleibt – wenn auch in anderer Funktion. Und noch ein Unterschied: Der eine vertritt ein Land, das auf sich allein gestellt nach dem seinem Gewicht entsprechenden Einfluss strebt; der andere ist auf der einen Seite Weltmacht und auf der anderen Seite Partner eines Bündnisses von Gleichen, das als amerikanisch-europäische Partnerschaft von großer Bedeutung für die globale Stabilität ist.

Es wird nicht gut gehen, wenn Washington erwartet, dass das Bündnis Alleingänge, wie die Raketenabwehrstationen in Polen und Tschechien oder die Zusage auf Nato-Mitgliedschaft an Georgien und die Ukraine abnicken wird. Der Umstieg der USA zur Koalition der Willigen für den verhängnisvollen Irakkrieg ist noch in schlechter Erinnerung.

Die selbst geschaffenen Probleme lenken davon ab, die Zukunftsprobleme der entstehenden neuen Weltordnung zu lösen. Glaubt denn wirklich jemand, dass ohne vereinbarte globale Regelungen in einer interdependenten Welt – das heißt, ohne verlässliche globale Rahmenbedingungen wie Transparenz auf den Finanzmärkten, faire Regelungen für den globalen Wettbewerb, Abschied vom Besitzstandsdenken des Nordens – die vor uns liegenden dramatischen Veränderungen ohne Erschütterungen gemeistert werden können? Glaubt man wirklich, dass all das geschehen kann ohne gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Russland, China oder Indien? Glaubt man, ohne Zusammenarbeit Klimapolitik durchsetzen zu können oder eine auf Vertrauen gegründete globale Energiepolitik? Nur durch gleichberechtigte Zusammenarbeit werden wir die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern. Mit altem Denken kommen auch die alten Probleme wieder. Russland ist nicht unser selbstverständlicher Gegner, sondern unser natürlicher Partner und das alte Kulturvolk der Chinesen hat die Weltbühne – und das diesmal endgültig – wieder betreten. Es sucht Partnerschaft und wir sollten sie nicht verweigern. Wir brauchen keine neuen Feindbilder, sondern umfassende globale Kooperation.

An den G-8-Gipfeln China und Indien nicht zu beteiligen, ist realitätsfern. Die Stimmenverhältnisse im Internationalen Währungsfonds nicht den neuen ökonomischen und finanziellen Verhältnissen anzupassen, ist es auch. Das Alarmsignal des IWF sollte zeigen, wie viel verstärktes gemeinsames Handeln notwendig ist.

Internationale politische Zusammenarbeit ist auch verstärkt notwendig zur Lösung der immer dramatischer werdenden Probleme im Nahen Osten und bei der Suche nach einem Ausweg aus der Katastrophe des Irakkrieges. Die Gefahr einer Konfrontation zwischen islamischer und westlicher Welt rückt näher.

Man darf gewiss nicht blind sein für die Probleme in Russland oder in China – oder ganz andersartig im Nahen und Mittleren Osten. Aber jeder sollte sich fragen, wie sie am besten überwunden werden können: in einem Klima globaler Konfrontation oder in einer kooperativ zusammenwachsenden und deshalb auch systemöffnenden Welt? Wir Deutschen haben als geteiltes Land die Chance der Kooperation in Europa nicht nur genutzt, sondern sie vorher auch geschaffen. Heute sollten wir das als Teil der EU auch tun, beim Bau einer neuen Weltordnung, die überall als gerecht empfunden werden kann.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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