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POSITIONEN: Zu kurz, zu wenig Debatten, zu exklusiv

Was sich in der neuen Legislaturperiode dringend ändern muss

Mit der Aussprache über die Regierungserklärung beginnt am heutigen Dienstag die politische Arbeit der neuen Legislaturperiode. Mit vier Jahren ist sie für den Bundestag vergleichsweise knapp bemessen, kürzer als in den meisten Bundesländern, in vielen Parlamenten unserer Nachbarstaaten und im Europäischen Parlament, in denen die Legislaturperiode fünf Jahre dauert. Ich persönlich halte es für richtig, die Zeit zwischen Bundestagswahlen ebenfalls um ein Jahr zu verlängern. Das Parlament hätte dann mehr Zeit für Sacharbeit, jenseits der Wahlkämpfe, die es in Deutschland eh schon reichlich gibt – von den Gemeinderäten, Kreistagen und Landtagen über den Bundestag bis zum Europäischen Parlament.

Allerdings wäre ich nicht bereit, für eine längere Wahlperiode des Bundestages den Preis einer plebiszitären Öffnung des Grundgesetzes zu zahlen. Die Beteiligung an Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf kommunaler wie auf Landesebene ist ernüchternd. Schon viele Volksentscheide und Volksbegehren sind allein am fehlenden Quorum gescheitert. So wünschenswert eine Verlängerung der Wahlperiode ist, so wenig kann sie notwendige und mögliche Verbesserungen der parlamentarischen Arbeit ersetzen.

Dabei geht es nicht um neue Rekorde bei den von allen Bundestagsfraktionen in einer Sitzungsperiode produzierten Drucksachen, wohl aber um stärkere Trennung des Wichtigen vom Auffälligen. Dies auch, um das ärgerliche Missverhältnis zwischen aufgesetzten und tatsächlich öffentlich behandelten Tagesordnungspunkten zu beseitigen.

In der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags wurde von insgesamt 15 500 Reden mehr als jede vierte gar nicht gehalten, sondern „zu Protokoll gegeben“. Aus einer im Einzelfall sicher sinnvollen Ausnahme ist längst eine fragwürdige Regel geworden. Eine Errungenschaft ist das nicht, schon gar nicht, wenn die zweite und dritte Lesung von Gesetzen im Plenum alleine in der Niederlegung von schriftlichen Beiträgen besteht, die gar nicht debattiert werden konnten. Mit der unmissverständlichen Festlegung unserer Verfassung – Zitat: „Der Bundestag verhandelt öffentlich“ – ist diese Praxis jedenfalls nur schwer vereinbar.

In dieser Legislaturperiode müssen wir – auch durch Urteile höchster Gerichte veranlasst – die Transparenzregeln für Abgeordnete und das Wahlrecht weiterentwickeln. Ich werde mit Nachdruck dafür werben, dass wir mit möglichst breiten, fraktionsübergreifenden Mehrheiten zu überzeugenden Regelungen kommen. Dazu gehört auch die Frage nach der Zulassung von Parteien zur Bundestagswahl, die noch nicht im Parlament vertreten sind.

Wenn derzeit im zuständigen Wahlausschuss Vertreter der etablierten Parteien darüber entscheiden, ob Konkurrenz zugelassen wird, so ist diese Vorgehensweise nicht über jeden demokratischen Zweifel erhaben. Und dass unser Wahlgesetz eine Überprüfung dort mit Mehrheit abgelehnter Bewerbungen erst nach der Wahl zulässt, halten nicht nur einige Kommentatoren des Grundgesetzes, sondern auch ich selbst für eine Rechtsschutzlücke. Nach der Wahl ist es nämlich für eine Korrektur zu spät.

Für das Wahlrecht gilt in ähnlicher Weise wie für das Parlament: Die demokratische Reife eines politischen Systems zeigt sich nicht an der selbstverständlichen Regel, dass die Mehrheit am Ende entscheidet, sondern dass die Minderheit faire Chancen der Teilhabe an der politischen wie parlamentarischen Willensbildung hat. An Arbeit und Themen (auch in eigener Sache) mangelt es in den kommenden vier Jahren wahrlich nicht.

Die neue Legislaturperiode beginnt. Die Zeit ist kurz bemessen, und deshalb sind wir gut beraten, die Dinge sofort anzupacken.

Der Autor ist Präsident

des Deutschen Bundestags.

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