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Erdogan triumphiert nach der Wahl.

© AFP

Präsidentschaftswahl in der Türkei: Wie mächtig ist Recep Tayyip Erdogan wirklich?

Der neu gewählte Präsident Recep Tayyip Erdogan hat geschafft, was kaum jemandem zuvor in der Geschichte der Türkei gelungen ist. Das will er nutzen, um sein Land kategorisch umzubauen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Seibert

Recep Tayyip Erdogan hat es geschafft. Nach seinem Sieg bei der türkischen Präsidentenwahl am Sonntag ist der 60-Jährige mächtiger als alle anderen Politiker in der Geschichte seines Landes mit Ausnahme von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk.

Erdogan will seinen historischen Triumph bei der ersten Direktwahl des Staatspräsidenten nutzen, um die Türkei umzubauen. Die parlamentarische Demokratie soll einem Präsidialsystem wie in den USA weichen. Doch ein starkes Mandat für den Umbau hat Erdogan nicht. Nur ein wenig mehr als die Hälfte der türkischen Wähler wollten Erdogan an der Spitze des Staates sehen. Der Vertrauensbeweis fiel schwächer aus als von Erdogan erwartet. Dennoch wird Erdogan jetzt als 12. Präsident der Türkei das Land steuern. Nach außen wird er noch mehr Selbstbewusstsein und zuweilen Schroffheit zeigen als bisher. Für Europa bleibt er ein schwieriger Partner.

Vorbild USA

Im Innern will Erdogan so schnell wie möglich mit Verfassungsänderungen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Präsidialsystem schaffen. Und da fangen seine Probleme an: Er hat derzeit keine Mehrheiten für sein Vorhaben. Seine Regierungspartei AKP wird ohne ihn als Wahlkämpfer bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr eher Stimmen verlieren als hinzugewinnen.

Auf absehbare Zeit wird die Türkei deshalb eine Art halbes Präsidialsystem haben. Erdogan verweist bei seinen Plänen auf das Vorbild USA – ohne zu erwähnen, dass in Washington die Macht des Präsidenten durch wirksame Gegengewichte beschränkt wird, die in Ankara fehlen.

In der Türkei kann nur das Verfassungsgericht dem neuen Präsidenten in die Parade fahren. Häufiger Streit zwischen Erdogan und den Verfassungsrichtern ist deshalb absehbar. Darunter könnte die innenpolitische Stabilität leiden, die in den vergangenen Jahren die Grundlage der wirtschaftlichen Erfolge Erdogans war. Auch gibt es Zweifel daran, ob Erdogan der Richtige ist, um als Präsident die Wunden der tiefen Polarisierung in der türkischen Gesellschaft zu heilen, die er zum Teil selbst geschlagen hat. Die Türkei hat nun einen starken Präsidenten, doch sie geht ungewissen Zeiten entgegen.

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