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Pro Reli: Vereint im Glauben

Bei Pro Reli haben beide Seiten etwas zu verlieren - das gibt Anlass für einen Kompromiss.

Viel zu gewinnen, oder einiges zu verlieren. Das ist die Alternative für die Initiatoren von Pro Reli. Die erste Stufe des Volksbegehrens, das heute endet, hat die Kampagne wahrscheinlich geschafft – auch wenn erst später endgültig feststeht, ob die notwendigen 170 000 Unterschriften erreicht wurden. Und was kommt nun? Die Zeit der Gespräche, der Verhandlungen und der Angebote. Interesse daran müssen beide Seiten haben – die Pro-Reli-Aktivisten und der Berliner Senat. Denn niemand kann zurzeit sagen, wer beim Volksentscheid gewinnt.

Fest steht eines: die Initiative hat die Debatte über die Vermittlung von religiösen und humanistischen Werten vorangebracht. Für viele Menschen in der Stadt der vielen Nationalitäten ist Ethik das geeignetere Modell, um Verständnis für andere Kulturen und Religionen zu fördern. Die Zustimmung für Pro Reli spiegelt aber die veränderte Bevölkerungsstruktur in Berlin, in der eine Hälfte der Bevölkerung erst nach dem Mauerfall zugezogen ist. Wer aus dem Westen der Bundesrepublik kommt, ist mit Religion als Schulfach aufgewachsen und reibt sich an der Berliner Unverbindlichkeit, die sie als kirchenfeindlich empfinden. Zugleich aber verändern sich die Schulen radikal – bald wird mehr als die Hälfte der Kinder in den Grundschulen einen Migrationshintergrund haben. Katholischer und evangelischer Religionsunterricht wird dann in Grundschulen nur noch eine Minderheitenveranstaltung sein.

Beide Seiten haben etwas zu verlieren. Das fängt beim Abstimmungstermin an. Der Senat darf zwar festlegen, wann der Volksentscheid abgehalten wird – doch jeder Verdacht, hier werde zuungunsten der Kampagne getrickst, macht Pro Reli stark. Auch aus finanziellen Gründen wäre den Berlinern nicht zu vermitteln, warum der Volksentscheid – wie von Pro Reli gewünscht – nicht zeitgleich mit der Europawahl stattfinden soll. Nur sollte sich Pro Reli nicht täuschen: Nötig sind 609 000 Ja-Stimmen, die zudem die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bilden müssen. Und wenn der Senat für Ethik massiv mobilisiert, werden bei der Europawahl viele linke Wähler Nein zum Fach Religion sagen.

Anlass für Gespräche gibt es also genug. Auch Drohpotenzial. Denn der Senat könnte bei einem Erfolg von Pro Reli im Gegenzug Ethik schon in den Grundschulen einführen – zurzeit besucht die große Mehrheit der Kinder freiwillig den Religionsunterricht. Pro Reli hat schon reagiert und bietet für die Oberschule eine enge Kooperation mit Ethik an; neben dem Fach Religion seien gemeinsame Unterrichtseinheiten aller Schüler vorstellbar. Inoffiziell wird in der Kampagne sogar diskutiert, Religion als Wahlpflichtfach erst ab der siebten Klasse einzuführen.

Wer scheitern kann, ist verhandlungsbereiter. Die erste Stufe ist zwar geschafft, doch ein Selbstläufer ist die Kampagne wider Erwarten nicht geworden. Auch dies könnte die Kompromisssuche unterstützen. Und auch dem Senat ermöglichen, seine starre Haltung aufzugeben. Gewinnen würde Berlin – wenn beide Seiten nach der besten Lösung suchen, um Religion und Ethik in der Schule zu verankern.

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