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Prozess: Oury Jalloh: Recht für einen toten Asylbewerber

Der Bundesgerichtshof hat richtig entschieden, dass der Tod Jallohs und ein Freispruch neu verhandelt werden müssen. Das stärkt den Rechtsstaat. Ein Kommentar von Parvin Sadigh

In dem ersten Verfahren um den in einer Polizeiwache verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh war einiges zusammengekommen, das das Vertrauen in unseren Rechtsstaat erschüttern konnte. Das Landgericht Dessau hatte im Dezember 2008 einen Polizisten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Der hatte den Alarm des Rauchmelders mehrmals abgeschaltet, statt sofort zur Zelle von Jalloh zu eilen. Doch der Bundesgerichtshof hat nun glücklicherweise entschieden, dass das Verfahren gegen den Dienstgruppenleiter neu aufgerollt werden muss.

Ob der Angeklagte in einem neuen Prozess schuldig gesprochen wird oder entlastet werden kann, ist noch nicht gesagt. Vielleicht wird es kein anderes Urteil geben können, weil sich die Wahrheit wieder nicht herausfinden lässt. Aber wenigstens wird nun hoffentlich versucht, alle Spuren zu verfolgen, die gravierenden Lücken zu schließen, die damals hingenommen wurden.

Der Prozess dauerte schon viel länger als ursprünglich geplant und der Blick der Öffentlichkeit auf ihn war nicht unbefangen. Oury Jalloh war Asylbewerber, er stammte aus Sierra Leone, seine Haut war schwarz, und er lebte in Sachsen-Anhalt.

Jeder konnte in diesem Fall sehen, was er ohnehin schon immer gewusst haben wollte. Entweder: Die Schwarzen – wie Jalloh – passen nicht in unsere Gesellschaft, sie belästigen unsere Frauen, besaufen sich und randalieren.

Oder: Die Ossis sind ein Haufen von Rassisten. Nicht einmal in den Händen der Polizei ist ein Schwarzafrikaner sicher; er wird von ihnen ermordet oder zumindest schauen die Staatsdiener untätig zu, während er verbrennt.

Das sind die Vorurteile, zugespitzt, aber in den Köpfen vieler Menschen so oder ähnlich verankert. Die Richter hatten zwar betont, dass dies für sie ein Prozess sei wie jeder andere. Aber er wurde trotzdem nicht mit der nötigen Gründlichkeit geführt.

Oury Jalloh war festgenommen worden, weil sich zwei Frauen von ihm belästigt fühlten. Da er betrunken war und sich gegen die Festnahme wehrte, wurde er in seiner Zelle auf einer Matratze festgeschnallt. Derart fixiert fischte er – so die These – ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und kokelte die Matratze an, bohrte dann ein Loch in die Kunststoffhülle, um die leichter brennbare Füllung in Brand zu setzen.

Es gibt zwar bisher keine Indizien dafür, dass ein Dritter Jalloh töten wollte. Ein solcher Verdacht wird auch in dem neuen Prozess wahrscheinlich nicht verhandelt werden. Aber auch unter der Prämisse der Selbstanzündung, um Aufmerksamkeit zu erregen, blieben im Prozess viele Fragen unbeantwortet. Wo kam das Feuerzeug her? Die Flammen müssen Jallohs gefesselte Hand direkt erreicht haben. Hat der Verbrennende wirklich nicht geschrieen? Wann schlug der Rauchmelder Alarm? Erst als es schon zu spät war und Oury Jalloh die 800 Grad heißen Dämpfe eingeatmet hatte und einen Hitzetod starb? Oder lange vorher als er mühsam die schwer entzündbare Matratze anschmorte?

Eine Polizistin, die gegen ihren Vorgesetzten, den Angeklagten, ausgesagt hatte, schwächte ihre Aussagen immer weiter ab. Die Aussagen, warum und wie oft der Alarm des Feuermelders vom Angeklagten einfach wieder abgeschaltet wurde, statt sofort zu Hilfe zu eilen, widersprachen sich. Andere Aussagen waren einfach falsch. Auch die Gutachten waren nicht in allen Details aussagekräftig.

Der BGH-Termin fand genau am fünfen Jahrestag von Oury Jallohs Feuertod statt. Kein Symbol, sagte die Richterin, reiner Zufall. Aber für Menschenrechtler und die Freunde Jallohs, die jedes Jahr am 7. Januar für eine lückenlose Aufklärung des Falls demonstrieren, sollte das trotzdem ein starkes Zeichen sein. Dass man unserem Rechtsstaat doch vertrauen kann.

Quelle: ZEIT ONLINE

Parvin Sadigh

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