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Meinung: Puffer gegen Moskau

Polen engagiert sich immer stärker in Osteuropa – und verärgert so Russland

Kaum ein anderer EU-Staat setzt sich so vehement für die Wahrung der Menschenrechte im autoritär regierten Weißrussland ein wie Polen. Die Nähe zu dem schwierigen EU-Anrainer bekommt das Land indes auch besonders unangenehm zu spüren. Die jüngsten Repressalien Minsks gegen die polnische Minderheit und die Ausweisung von zwei Diplomaten haben nicht nur in Warschau, sondern auch in Brüssel die Frage nach dem Umgang mit Weißrussland neu aufgeworfen.

Patentrezepte vermag auch Polen nicht zu bieten. Einerseits machen die Sorge um die Minderheit, der Handel und die Absicherung der EU-Grenze ein gewisses Maß an Kooperation mit dem Lukaschenko-Regime unerlässlich. Anderseits pflegt Warschau enge Kontakte zur weißrussischen Opposition und Bürgerrechtsgruppen. Die grenzüberschreitenden Bande sind nur ein Grund, warum Polen das Schicksal der Nachbarn am Herzen liegt. Erst 16 Jahre liegt der Zerfall des Warschauer Pakts zurück. Wie in Prag, Budapest oder im Baltikum ist in Polen die Erinnerung an die Jahrzehnte als fremdbestimmter Satellit Moskaus noch frisch. Warschau ist darum an der Schaffung eines Rings befreundeter Pufferstaaten gegen befürchtetes russisches Großmachtstreben interessiert.

Die Erweiterung hat damit auch der EU neue Perspektiven – und eine neue Ost-Dimension beschert. Spätestens die erfolgreiche Mittlermission Polens und Litauens während der Ukraine-Krise hat gezeigt, welch neue Expertise die EU durch die neuen Mitglieder erhalten hat. Gerade die Ukraine, deren Unabhängigkeit 1991 Polen als Erstes anerkannte, wird von Warschau als strategischer Partner gesehen.

Nicht nur wegen der wirtschaftlichen Probleme des Nachbarn übte sich Polen im Westen jedoch lange vergeblich als Anwalt der damals für ihre demokratischen Defizite berüchtigten Ukraine. Die Alt-Partner waren und sind in erster Linie an der Abschottung der EU-Ostgrenze gegen Schlepperbanden, Drogenhändler und Autoschieber interessiert. An einem neuen Eisernen Vorhang hat man indes auf beiden Seiten der polnisch-ukrainischen Grenze kein Interesse: Als EU-Mitglied versteht sich Polen mit dieser Sorge weit besser als früher Gehör zu schaffen.

Die Brückenfunktion Polens im Osten wird inzwischen auch in westeuropäischen Hauptstädten geschätzt. Doch gering scheint dort noch immer das Verständnis für die Sorge der Neu-Mitglieder, dass sich die EU von Russland auseinander dividieren lasse. Sorgfältig wird in Polen und den baltischen Staaten registriert, wenn Chirac oder Schröder zu russischen Geschichtsklitterungen über das Massaker von Katyn oder die Befreiung des Baltikums höflich schweigen. Das deutsch-russische Projekt einer Ostsee-Pipeline unter Umgehung des Baltikums und Polens wird dort genauso als bewusste Strafaktion Moskaus empfunden wie die Nichteinladung zu den Jubiläumsfeierlichkeiten Kaliningrads.

Der lange anvisierte EU-Beitritt war für die Neu-Mitglieder weit mehr als nur der Zugang zum gemeinsamen Markt. Für sie hat dieser auch eine sicherheitspolitische Komponente. Männerfreundschaften mit Putin können die oft beschworene gemeinsame Außenpolitik der EU für deren Neulinge nicht ersetzen. Sie fordern nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch eine gewisse Solidarität. Berlin und Paris machen es sich zu leicht, wenn sie die Sorgen der Partner als bloße Empfindlichkeiten abtun. Denn mit ihrer Erweiterung hat sich die EU im Osten des Kontinents nicht nur mehr Gewicht, sondern auch neue Verpflichtungen geschaffen.

Thomas Roser

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