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"Pussy Riot"-Prozess: Putins Angst vorm eigenen Volk

Drei junge Frauen stehen in Russland vor Gericht, zwei davon sind Mütter. Dass es um einen politischen Prozess geht, steht außer Frage. Der Fall der Punkband "Pussy Riot" demaskiert das Regime.

Es war ein bewusster Tabubruch: Acht junge russische Frauen in selbst gehäkelten Sturmmasken singen an einem symbolischen Ort ein Protestlied gegen Wladimir Putin. Nicht viele Russen kannten bis dahin die Punkrockband „Pussy Riot“. Damals, im Januar, traten sie auf dem Roten Platz auf. Doch ihr Protestlied verhallte. Sie wurden nur vorübergehend festgenommen.

Wenig später reagierte der Staat mit aller Härte auf einen anderen Auftritt der Band: Weil sie in der Christ-Erlöser-Kathedrale in einem Punk-Gebet die Mutter Gottes darum baten, Putin zu verjagen, müssen sich drei Bandmitglieder jetzt vor Gericht verantworten. Dabei ist Blasphemie in Russland gar nicht strafbar, den Frauen wird deshalb „Rowdytum“ vorgeworfen. Ihnen drohen lange Haftstrafen. Dass es ein politischer Prozess ist, steht außer Frage – nicht nur, weil dasselbe Gericht über „Pussy Riot“ verhandelt, das schon den Oligarchen und Putin-Kritiker Michail Chodorkowski abgeurteilt hat.

Der Prozess gegen „Pussy Riot“ zeigt exemplarisch die Nervosität der russischen Staatsmacht nach den Großdemonstrationen rund um die Wahlen – und deren Unfähigkeit, darauf eine angemessene Antwort zu finden. Noch ist Putin keine hundert Tage im Amt, da hat er bereits mehr als deutlich gemacht, wie er auf die Proteste reagiert. In dieser kurzen Zeit hat er die Geldbußen für nicht genehmigte Demonstrationen so drastisch erhöhen lassen, dass sich kaum jemand die Teilnahme noch leisten kann.

Video: Sieben Jahre Haft für Anti-Putin-Punk-Gebet?

Nichtregierungsorganisationen, die auch aus dem Ausland Geld erhalten, werden als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt. Und von den Behörden als gefährlich eingestufte Webseiten sollen künftig gesperrt werden.

Der Staat zeigt Härte gegen seine Kritiker.

Der Staat zeigt Härte gegen seine Kritiker. Im Verfahren gegen „Pussy Riot“ wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben und zugleich ad absurdum geführt. Ist eine Punkrockband wirklich der Staatsfeind Nummer eins? Wie Schwerverbrecher sollen die drei Frauen zehn Monate lang in Untersuchungshaft bleiben, dabei haben zwei von ihnen kleine Kinder. Die Überreaktion des Staates demonstriert letztlich die Unsicherheit der russischen Führung, die Angst Putins vor dem eigenen Volk.

Massendemonstrationen in St. Petersburg und Moskau im März 2012:

Abschreckung der Bürger durch demonstrative Härte und durch Schauprozesse ist ein Rezept aus der Mottenkiste der Sowjetunion. Im heutigen Russland funktioniert das nicht mehr. Denn gerade durch die irrationale Reaktion des Staates sind die Frauen von „Pussy Riot“, bei denen nicht ganz klar ist, ob ihre Aktion wirklich einer politischen Haltung entsprang oder eher der Lust am doppelten Tabubruch (gegen Putin, gegen die Kirche), zu Symbolfiguren mit weltweiter Bekanntheit geworden. Plötzlich sind sie Märtyrerinnen einer Oppositionsbewegung, der sie nie wirklich angehörten.

Hätten Staat und Kirche den Auftritt in der Kathedrale ähnlich gelassen hingenommen wie die Performance auf dem Roten Platz, hätte bald niemand mehr darüber geredet. So aber führt dieser Prozess zu einer weiteren Entfremdung der Bürger vom Staat.

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