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Meinung: Quote auf Irakisch

Schiiten, Kurden, Frauen – die Übergangsverfassung balanciert die Interessen des Landes klug aus

Lange hatte es so ausgesehen, als sei der irakische Regierungsrat nicht viel mehr als eine Schwatzbude. Deshalb hatten die Amerikaner schon vor Monaten gedroht, man werde das Gremium auflösen, wenn es nicht in der Lage sei, die Übergabe der Macht an die Iraker zu organisieren. Das muss gewirkt haben. Nach mehrtägigen schwierigen Verhandlungen und einer Nachtsitzung haben die 25 Ratsmitglieder nun einstimmig einer Übergangsverfassung zugestimmt – und somit die Voraussetzung geschaffen, dass bis zum Januar 2005 tatsächlich Wahlen abgehalten werden können.

Auch wenn sie unter amerikanischer Aufsicht entstanden ist, so stellt diese Verfassung doch einen Meilenstein dar – für den Irak wie für die gesamte arabische Welt. Denn hier werden die bürgerlichen Freiheitsrechte in einer Art und Weise garantiert, wie es das in diesem Teil der Erde – Ausnahme Israel – bisher noch nicht gab. Geschlechtergleichheit, Diskriminierungsverbot, Rede-, Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit – es ist das klassische Paket demokratischer Rechte, das hier geschnürt wurde. Nach den Jahrzehnten der Diktatur werden die Iraker erst langsam lernen müssen, diese Freiheiten auch tatsächlich wahrzunehmen – und anderen zuzugestehen.

Auch die gefährliche Klippe, welche Rolle der Islam in der Verfassung spielen soll, wurde einigermaßen umschifft. Er soll jetzt nicht mehr die Hauptquelle der Gesetzgebung sein, sondern nur eine von vielen Quellen. Vergangenen Freitag war es in dieser Frage noch zum Eklat gekommen, als 15 liberale Ratsmitglieder das relativ fortschrittliche irakische Familienrecht wieder einsetzten. Daraufhin hatte eine Gruppe von Schiiten den Rat aus Protest verlassen, die den Islam zum Fundament jeglichen Rechts machen wollte. Die Kompromissformel heißt nun, dass keine Gesetze verabschiedet werden dürfen, die gegen allgemein anerkannte islamische Grundsätze verstoßen. Damit wird man leben können.

Gewinner des mühsamen Dikussionsprozesses zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen im Irak sind die Frauen – und die Kurden. 25 Prozent der Sitze im Parlament sollen für den weiblichen Teil der Bevölkerung reserviert werden. Solch eine Quote, die nur etwas unter dem Frauenanteil von 32 Prozent im deutschen Bundestag bleibt, ist ungewöhnlich. Damit wird allerdings ein Problem angegangen, das in den UN-Berichten als eines der größten Entwicklungshemmnisse in der arabischen Welt bezeichnet wurde: die untergeordnete gesellschaftliche Stellung von Frauen. Die war im Irak sicher nicht so schlecht wie etwa in Saudi-Arabien oder in Jemen. Doch der Irak wie auch die anderen arabischen Staaten werden erst aus ihrer politischen und wirtschaftlichen Stagnation herausfinden, wenn sie das Potenzial und die Talente von Frauen endlich stärker entwickeln und für die Gesellschaft nutzbar machen. Ein parlamentarisches Quorum könnte da ein Anfang sein.

Was die Kurden anbelangt, die sich seit 1991 im Norden ohnehin selbst regierten, so wurden sie für ihren Anteil am Befreiungskampf belohnt. Die neue Verfassung sieht ein ausgeprägten Föderalstaat vor mit starken Regionen. Und vorerst dürfen die Kurden auch ihre Peschmerga-Miliz behalten, die nicht in der irakischen Armee aufgehen soll. Nur die Ausdehnung des kurdischen Territoriums auf die erdölreichen Regionen um Kirkuk wurde nicht genehmigt. Für Konfliktpotenzial ist also gesorgt.

Eine Übergangsverfassung ist das, was der Name schon sagt – vorläufig. Und das ist vielleicht das größte Problem dieses Dokuments. Es sieht kaum Sicherungen für die Zeit nach der Wahl vor. Unter amerikanischem Druck haben sich die unterschiedlichen Gruppen jetzt zwar geeinigt. Doch wenn im Januar dann die Schiiten die Mehrheit im Parlament stellen, könnte sich wieder die alte orientalische Krankheit durchsetzen – „the winner takes it all“. Dann erst wird sich zeigen, ob die neue Verfassung auch von den neuen Machthabern respektiert wird. Ein Angebot und ein Versprechen ist sie allemal.

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