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Meinung: Ratte simuliert Roboter

WAS WISSEN SCHAFFT Kein Roboter ist so perfekt wie sein lebendiges Vorbild. Schon die böse Maria aus Fritz Langs „Metropolis“, die künstliche Urgroßmutter aller Leinwandroboter, scheiterte an der echten Maria und wurde verbrannt.

WAS WISSEN SCHAFFT

Kein Roboter ist so perfekt wie sein lebendiges Vorbild. Schon die böse Maria aus Fritz Langs „Metropolis“, die künstliche Urgroßmutter aller Leinwandroboter, scheiterte an der echten Maria und wurde verbrannt. Den Maschinenwesen des wirklichen Lebens geht es kaum besser: Moderne Laufroboter mit Spinnenbeinen bleiben in weichem Boden stecken, künstliche Libellen fliegen nur wenige Meter weit. Und „Aibo“, der als Sensation gefeierte japanische Roboterhund, kann nicht einmal alleine Gassi gehen.

Nun ist Wissenschaftlern von der New York State University in Brooklyn ein Durchbruch gelungen, der eine neue Ära der Robotik einläuten könnte. Statt plumpe und störanfällige Kopien von Lebewesen zusammenzuschrauben, drehten sie den Spieß um – und machten lebendige Ratten zu Robotern. Über drei hauchdünne Drähte im Gehirn und einen Funkempfänger auf dem Rücken ließen sich die Nager fernsteuern wie Spielzeugautos: Durch Bewegung eines Joysticks nach links oder rechts liefen die Tiere um die Kurve, Hebel nach vorne bedeutete „geradeaus“ und zugleich „Belohnung“ – nur mit dem Rückwärtsgang haperte es bei den Prototypen noch. Dafür hat die Robo-Ratte, so ihre stolzen Konstrukteure, allerlei „Vorteile gegenüber gegenwärtigen mobilen Robotern": Sie kann sich im Dunkeln orientieren, mühelos durch enge Röhren laufen und auf Bäume klettern, sogar ein Gaswarngerät ist serienmäßig eingebaut – Ratten haben einen äußerst empfindlichen Geruchssinn.

Für die Nachrüstung mit der Fernbedienung mussten die intelligenten Tiere nicht einmal besonders gequält werden. Die Elektroden werden unter Narkose eingesetzt und sind danach, wie man von Operationen beim Menschen weiß, kaum zu spüren.

Den elektrischen Reiz für die Richtungsänderung empfinden die Ratten so, als ob eine unsichtbare Hand auf einer Seite ihre Schnurrhaare berührt. Wenn sie diesem Kommando brav folgen, werden sie durch einen Impuls mit der dritten Elektrode belohnt, die ein Gefühl von Euphorie auslöst und gleichzeitig den Vorwärtsdrang der Tiere verstärkt. Durch diese „virtuelle Konditionierung“ parieren die gelehrigen Nager wie im Zirkus, aber ganz ohne Kommandorufe, Belohnungshäppchen und Gitterstäbe.

Das drollige Experiment ist jedoch als Tierversuch ethisch bedenklich: Nicht, weil es besonders quälend, sondern weil es besonders sinnlos ist. In den USA wie in Deutschland dürfen Tierversuche nur gemacht werden, wenn sie „unerlässlich“ und im Hinblick auf den Versuchszweck „ethisch vertretbar“ sind. Mit der Entscheidung jedoch, welcher Zweck noch die Mittel heiligt, sind die zuständigen Behörden oft überfordert. Die Quote der wegen fehlender Notwendigkeit abgelehnten Tierversuchsanträge liegt deshalb nahe bei Null.

Auch die – neuerdings von allen Parteien des Bundestages unterstützte – Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz wird an der Misere voraussichtlich nichts ändern. Schon heute ist der „ethisch“ begründete Tierschutz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes fest verankert, doch andere Rechte wie die der Wissenschaft oder der Religionsausübung werden vorangestellt. Ob ein Tierexperiment für den medizinischen Fortschritt nützlich ist, zeigt sich oft erst Jahre später. Deswegen bleibt es der Phantasie der Wissenschaftler überlassen, die Unerlässlichkeit ihrer Versuche zu begründen: Die New Yorker Robo-Ratten sollen angeblich eines Tages bei „urbanen Zerstörungen“ zur Rettung Verschütteter eingesetzt werden – gegen die berüchtigte Vorliebe der Nager für Fleisch haben die Forscher allerdings noch kein Rezept gefunden.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Mikrobiologie an der Universität Halle.

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