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Meinung: Rauchen macht arm

Von Roger Boyes, The Times

Es gibt nur einen Weg, im Wartezimmer die Zeit totzuschlagen: mit einer eselsohrigen „Neuen Welt der Frau“ und den neuesten Amouren in Europas Königshäusern. Arme Letizia, Zusammenbruch im Palast? Tja, arme Letizia. Für mehr reicht die Konzentrationsfähigkeit auf der radiologischen Station nicht.

Der Tag beginnt mit einer Karte, die in einen Kasten geworfen wird: Auf ihr ist ein idealisierter Körper abgebildet, die Stellen, die bestrahlt werden sollen, sind mit einem gelben Filzer markiert. Eine Skala mit Zahlen zeigt an, mit wie vielen „greys“ an Strahlung man rechnen muss. Die Patienten warten und hoffen, dass die Maschine nicht wieder schlappmacht. Einige der Frauen tragen Perücken, die meisten haben Schminke aufgetragen, sie sehen normal aus, sie sind schließlich normal. Eine Frau in den 40ern ist nervös, sie müsste eigentlich bei der Arbeit sein. Sie hat ihrem Chef noch nicht gesagt, dass sie Krebs hat. Funktioniert die Maschine und die Bestrahlung geht schnell, schafft sie es einigermaßen rechtzeitig zur Arbeit und keiner wird bemerken, dass sie krank ist. Eine Zeit lang können die Patienten sich vormachen, die Krankheit sei nur eine Unbequemlichkeit.

Bis der Mann mit Lungenkrebs auftaucht. Er schiebt die Sauerstoffflaschen vor sich her, als wären es Einkaufswagen. Als er sich setzt, ist sein tiefer Atemzug zu hören. Er krächzt wie Marlon Brando im „Paten“; ständig kämpft er um Luft. In dem Raum sitzen etwa 20 Patienten, er ist der einzige, der krank aussieht und nicht bloß müde oder genervt. Anders als die übrigen blickt er nie auf die Uhr.

Warum tue ich dem Samstagleser diesen Bericht aus der Virchowklinik an? Weil diese Regierung, wie die anderen Regierungen davor, eine Geisel der Tabaklobby geworden ist. Es gibt kein stärkeres Argument gegen das Rauchen als das Wartezimmer in der Radiologie. Aber die Regierung schluckt weiter die alten Argumente und verhält sich, als ob man wie bei jeder anderen Debatte dafür oder auch dagegen sein könne. Sie ist beunruhigt, dass ein Rauchverbot in Kneipen und Restaurants den Umsatz zum Einbruch brächte. Ein Werbeverbot für Tabakwaren im Straßenbild oder im Internet könnte zur Konjunkturschwäche beitragen. Sogar das libertäre Argument ist zu hören: Individuen haben das Recht auf freie Wahl, sei es das Rauchen oder Nichtrauchen. Alle diese Argumente fallen in sich zusammen, wenn man sich mit einem Menschen zu unterhalten versucht, dessen Lungen vom Krebs befallen sind: Er spricht kurze Sätze, weil Atemluft rationiert werden muss, aber, das können Sie mir glauben, er interessiert sich einen Dreck für die Konjunkturschwäche. Eine Regierung, die versucht, die Gesundheitskosten zu senken, sollte ihm darin folgen. Lungenkrebs ist eine der am leichtesten zu vermeidenden Krankheiten (nicht rauchen!) und eine der am teuersten zu behandelnden. Was die Wahlfreiheit betrifft: Hat jeder das Recht zu wählen, auf welcher Seite der Autobahn er fahren will? Raucher sind die Geisterfahrer der Gesellschaft geworden.

Mein Grundinstinkt hält den Staat so weit aus meinem Leben heraus wie möglich. Aber der Staat trägt eine Verantwortung und scheut sie. In Großbritannien sind Zigarettenpackungen deutlich beschriftet: „Rauchen tötet“, in Polen ist die Warnung so groß, dass manche junge Raucher inzwischen glauben, die Marke hieße wirklich „Tod“. In Deutschland sind die Warnungen jedoch ungefähr so eindrucksvoll wie der erhobene Finger der Großmutter: „Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“. Und als Nächstes? Rauchen verursacht Schluckauf?

Norbert Walter von der Deutschen Bank hatte diese Woche eine gute Idee: Man sollte Rauchern etwas vom Gehalt abziehen – für die Rauchpausen während der Arbeitszeit. Viele Nichtraucher würden das sicher unterstützen. „Rauchen macht arm“ – das wäre ein effektvoller Slogan. Macht die Regierung da mit? Natürlich nicht, denn die Koalition hört mehr auf Lobbys als auf ihre Bürger – das war schon immer ihre heimliche Schwäche. Was den Mann im Wartezimmer der Radiologie angeht: Rauchen hat ihn nicht nur arm gemacht, es wird ihn schon bald umbringen. Jede Regierungsinitiative kommt für ihn zu spät – nicht aber für die Zehnjährigen, die vor der Schule ihren ersten Zug aus der Zigarette nehmen. Auf sie sollten wir uns konzentrieren.

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