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Reaktionen auf zu Guttenberg: Eine spezifisch gutbürgerliche Adelsphobie

Wenn je das Wort vom "Wutbürger" seine Berechtigung hatte, dann bei der Empörung über Guttenberg. Woran liegt das? Warum lässt der Mann keinen kalt? Vermutlich liegt es an der Angst vor dem Fremden, meint Malte Lehming.

Alles könnte ganz einfach sein – und die Erregung gedämpft. Ein junger, aufstrebender, smarter, adliger, konservativer und gut aussehender Politiker war überführt worden, seine Doktorarbeit in großen Teilen abgeschrieben zu haben. Daraufhin wurde er mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt. Und zwar zu Recht. Ein paar Monate später erzählt er nun in einem Buch, wie das alles aus seiner Sicht war. Es geht um Fehler und Reue, Schuld und Vergebung.

Eine baldige Rückkehr in die Politik, mit der Karl-Theodor zu Guttenberg liebäugelt, scheint es allerdings nicht zu geben. Bis auf ein paar politische Splitterexistenzen sehnt sich keiner danach. Selbst in der CSU wird vielen mulmig bei dem Gedanken daran. Aus dem ehemaligen Volksliebling wurde ein Ex-Volksliebling. Und eine neue Volkspartei rechts von der Union hat es noch nie gegeben. Doch gelassen ist kaum jemand. Immer noch löst dieser KT heftige Reaktionen aus. Die Vehemenz nimmt eher noch zu. Wenn je das Wort vom „Wutbürger“ seine Berechtigung hatte, dann bei der Empörung über Guttenberg. Woran liegt das? Warum lässt der Mann keinen kalt?

Sicher, da ist die Sache mit dem Plagiat. Das allein aber kann es kaum sein. Würde dem Volk der Dichter und Denker tatsächlich so viel am Wert des geistigen Eigentums liegen, wie es in diesem Fall behauptet, hätte der Erfolg der Piratenpartei zum nationalen Aufstand führen müssen. Denn für Piraten ist „geistiges Eigentum“ nur ein „Kampfbegriff der Verwertungsindustrie“. Jeder greife immer auf Vorhandenes zurück, sagen sie, die Schöpfungsidee sei eine Illusion, jedes Werk ein kulturelles Gemeingut.

Folglich ist die Wertschätzung akademischer Originalität und Sauberkeit allenfalls eine notwendige, keinesfalls aber hinreichende Bedingung, die mitunter überschäumende Guttenberg-Abneigung zu erklären. Nicht ausgeschlossen, dass es sich dabei um eine spezifisch gutbürgerliche Adelsphobie handelt. Für das linksliberale Bürgertum war die Sache von Anfang an klar. Adlig und konservativ: geht gar nicht. Im konservativen Bürgertum kam es zum Schisma. Die einen entschieden sich gegen die Politik für die bürgerlichen Werte, bei den anderen war es umgekehrt.

Kein Wunder: Die bürgerliche Elite verteidigt Tugenden wie Anstand, Fleiß, Pünktlichkeit. Herkunft gilt ihr nichts, es zählen allein eigene Entscheidungen und eigene Leistungen, Halt gibt die Nation. In dieses Wertekorsett sollen sich die Mitglieder anderer Stände integrieren, von den Ausländern bis zur biodeutschen Unterschicht, vom Klerus bis zum Adel. Interessanterweise ähnelt die Vorurteilsstruktur, die die bürgerliche Elite gegenüber dem Adel hat, in vielen Punkten jener, die sie gegenüber Ausländern und Andersgläubigen hat.

Der Adlige ist von Geburt an anders, ihn kennzeichnet ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl, er heiratet gern untereinander, organisiert sich transnational, bildet ein genealogisches Netzwerk. Das macht ihn für das gehobene Bürgertum verdächtig. Bildet die Adelsphobie daher einen Spezialfall der allgemeinen Xenophobie? Rassismus und Antisemitismus dürfen mit der Adelsphobie nicht in einen Topf geworfen werden.

Andererseits sollte das Bürgertum seine Toleranzgrenzen nicht nur in bestimmte Richtungen erkunden. Das aus seiner Perspektive Andersartige repräsentieren eben sowohl Ausländer und Fremdgläubige als auch Adlige und Klerikale. Viele Wutbürger verachten KT so innig wie den Papst. Gibt das nicht zu denken?

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