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Meinung: Recht behalten

Heute Italien, bald Türkei? Die EU muss eingreifen, wenn die Demokratie leidet

Von Albrecht Meier

Wie einfach und unkompliziert war doch alles in den 60er Jahren! Wer damals etwas Geld hatte und westdeutsch war, hat seinen ersten Sommerurlaub südlich der Alpen gemacht, Pasta und Chianti wieder mit zurückgebracht und ansonsten die Bilanz „Andere Länder, andere Sitten". Einen Euro gab es damals noch nicht, keinen Binnenmarkt, und die Europäische Union hieß auch noch anders. Die beiden Deutschlands hatten damals genug mit ihrer eigenen Politik zu tun, Europapolitik war ein Fremdwort.

Es ist ja nicht so, dass sich daran im öffentlichen Bewusstsein in der Zwischenzeit übermäßig viel geändert hätte. Wer heute nach Italien fährt und dort nebenbei von Berlusconis Untaten bei der Unterhöhlung des Rechtsstaats hört, mag sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland denken: Ein Glück, dass dergleichen hierzulande nicht passieren kann! Der Gedanke ist verständlich. Aber passt er noch zur EU, so wie wir sie heute kennen? Wenn Berlusconi künftig jedem Angeklagten in Italien (und damit auch sich selbst) die Wahl lässt, an welchem Ort er denn bitteschön sein Gerichtsverfahren haben möchte – werden damit nicht auch gleichzeitig die Rechtsstandards in der gesamten EU unterminiert?

Schließlich gibt es ja schon so etwas wie einen europäischen Club mit eigenen Spielregeln und Sanktionen für die, die dagegen verstoßen – am sichtbarsten in der Form des Stabilitätspaktes für den Euro. Im politischen Bereich gibt es auch Euro-Standards, die regelmäßig hochgehalten werden – so hoch, dass die, die draußen vor der EU-Türe stehen, größte Mühe haben, sie überhaupt zu erfüllen. So mag die Türkei zwar gerade die Todesstrafe abgeschafft und den Kurden weitere Rechte eingeräumt haben. Ob das allerdings am Ende des Jahres reichen wird, um Ankara eine feste Beitrittsperspektive zu sichern, gilt als fraglich.

Wenn Portugal heute die Euro-Stabilitätskriterien nur durch Buchungstricks erfüllen kann, gefährdet das automatisch den Euro – eine europäische Einmischung in die inneren Haushalts-Angelegenheiten in Lissabon ist daher nur recht und billig. Was aber, wenn in Italien klammheimlich die seit Montesquieu geheiligte Gewaltenteilung aufgehoben wird? Bislang kennt Europa keinen Mechanismus, der eine Machtanmaßung italienischen Stils ahnden würde. Warum soll Brüssel seine Nase nun auch noch in das italienische Rechtssystem stecken? Das fragen sich die Vorsichtigen unter den Europapolitikern und führen drei Argumente ins Feld: Erstens ist die EU noch weit davon entfernt, einen einheitlichen Rechts-Raum zu bilden. Zweitens sind die Zeiten eh nicht nach Brüsseler Allgewalt – die Wahlkämpfer Schröder und Stoiber lassen grüßen. Und drittens hat sich die EU seinerzeit gehörig die Finger verbrannt, als sie die vergleichsweise harmlose Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich brandmarken wollte.

Dennoch wird die EU in Zukunft nicht umhin kommen, demokratische Standards nicht nur zum Beitrittskriterium zu machen, sondern auch die Mitglieder, die es in den Club geschafft haben, einer permanenten Kontrolle zu unterziehen. Die Erweiterung der EU um die osteuropäischen Nachbarn wird dies unumgänglich machen. Wer garantiert schließlich, dass die Korruption bei den Beitrittskandidaten tatsächlich dauerhaft auf westeuropäisches Mittelmaß absinkt?

Wie es um die politische Hygiene bei uns selbst und bei unseren Nachbarn bestellt ist, muss uns noch aus einem anderen Grund mehr interessieren als vor 40 Jahren: Die EU bestimmt heute in weitaus stärkerem Maße nicht nur unsere Gesetzgebung, sondern auch unsere Lebenswirklichkeit als zu Zeiten der EWG-Gründerväter. Mehrheitsentscheidungen im Kreis der EU-Mitglieder werden immer mehr zur Regel werden. Da darf man auch schon etwas genauer hinschauen, von wem man sich überstimmen lässt.

An der Frage, wie weit die EU bei diesem Prozess der Integration gehen darf, arbeitet zur Zeit der EU-Konvent. Diese Versammlung von europäischen Verfassungsvätern und -müttern schwankt noch. Einerseits wünschen sich viele, dass am Ende der Beratungen ein klares Signal herauskommt: Bis hierhin darf sich die EU in nationale Angelegenheiten einmischen und nicht weiter! Andere träumen von einem mächtigen Kommissionspräsidenten und von Institutionen, die den europäischen Zusammenhalt zementieren. Wenn der Konvent aber zaghaft bleibt und nur den Status quo festschreibt, geht er das Risiko ein, die Zukunft Europas zu verspielen. Europas Institutionen brauchen Glaubwürdigkeit und Stärke – und gegebenenfalls auch die Muskelkraft, um einen Berlusconi in die Schranken zu verweisen.

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