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Meinung: Recht ohne Boden

Von Hermann Rudolph

So heftig und bitter der Streit um die Bodenreform geführt wurde und auch von den Klägern in Straßburg nochmals zur Sprache gebracht worden ist: Die Regelung, mit der die Bundesrepublik seit 1992 lebt – keine Rückgabe, geringe Entschädigung –, wird bestehen bleiben. Der Hebel der Menschenrechtsverletzung, auf den die Alteigentümer in Bezug auf ihr verlorenes Eigentum gesetzt hatten, erwies sich als zu schwach, um die damals getroffene Entscheidung und ihre Befestigung durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu kippen. Die Richter am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gaben der Bundesregierung und ihren Argumenten Recht: Ihr seien beim Aushandeln der deutschen Vereinigung die Hände durch die politische Situation gebunden gewesen und auch in der Frage der Entschädigung habe sie weitgehend nach ihrem Ermessen entscheiden können.

Was Recht ist, ist schwer zu sagen – von Gerechtigkeit ganz zu schweigen. Deshalb gibt es Richter, die nach einem allgemein anerkannten Regelwerk Urteile finden. Deshalb ist das resignative WendeWort so fatal, dass man Gerechtigkeit gesucht, aber nur den Rechtsstaat bekommen habe. Dieser Rechtsstaat hat seine Möglichkeiten bis zur letzten Instanz ausgeschöpft – wenn wir von der immer noch verbindlichen Zuständigkeit des nationalen Rechtes ausgehen, sogar ein Stück darüber hinaus. Nun stellt sich die Frage, was getan werden kann, damit an der Frontlinie, die dieser Streit durch Deutschland gezogen hat, der Zweck allen Rechts eintritt: nämlich Friede, versöhnlicher Umgang miteinander, Anerkennung der Lage.

Also: Gibt es noch, im Rahmen des gegebenen Rechts, Spielräume bei der Entschädigung? Wäre eine offizielle Bekundung der von allen Parteien geteilten Überzeugung nützlich, dass die Bodenreform Unrecht war? Allerdings wäre wohl auch eine zumindest verbale Abrüstung auf der Seite der Gegner der Bundesregierung notwendig. Das wäre jedenfalls das mindeste, was aus diesem Urteil folgen sollte: ein anderes Klima dieses Streits, der in den letzten Jahren den Ost-West-Unterschied des Landes immer wieder vergiftend aktiviert hat. Zu der Weisheit, dass es besser sei, eine Ungerechtigkeit zu begehen als Unordnung zu ertragen, wird sich nicht jeder bereitfinden. Dabei ist sie von Goethe, niedergeschrieben im Blick auf die Französische Revolution, also auch eines historischen Umbruchs.

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