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Meinung: Rechtswege: Durchaus durchschaut

Der Pädagoge Eduard Spranger (1882-1963) meinte, "Lebenserfahrung" sei etwas, das sich nicht weitergeben lässt. Dem kann nur zustimmen, wer älter geworden ist und erwachsene Kinder hat.

Der Pädagoge Eduard Spranger (1882-1963) meinte, "Lebenserfahrung" sei etwas, das sich nicht weitergeben lässt. Dem kann nur zustimmen, wer älter geworden ist und erwachsene Kinder hat. Sprangers Deutung des Begriffs Lebenserfahrung muss allerdings ergänzt werden. Der Versuch, Lebenserfahrung weiterzugeben, setzt voraus, dass gewisse Erfahrungen, die einer macht, von ihm als Lebenserfahrungen erkannt und anerkannt werden.

Die Erkenntnis, dass eine Erfahrung die einem widerfährt, die man also machen muss, eine grundsätzliche und darum eine Lebenserfahrung ist, setzt einige Entschiedenheit im Umgang mit sich selbst voraus. Erfahrungen, die Lebenserfahrungen sein könnten und sollten, lassen sich schließlich auch mühelos beiseite schieben.

Ein besonders gutes Beispiel für ein solches Beiseiteschieben erfand Otto Schily 1988, damals Bundestagsabgeordneter, als er ironisch eine Rede für den FDP-Parteitag im Oktober 1988 entwarf, die ein - erfundenes - FDP-Mitglied zu Gunsten des Grafen Lambsdorff halten wollte. Der war 1987 "wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung " in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 500 Tagessätzen je 360 Mark verurteilt worden: "Es handelt sich eindeutig um den Fall einer gemeinnützigen Steuerhinterziehung, die normalerweise nicht strafbar sein dürfte. Außerdem zahlt niemand gern Steuern. Deshalb kann sich im Grund jeder mit dem Grafen identifizieren, der endlich den übertriebenen Legalismus bei der Besteuerung überwunden hat. Genaugenommen ist die Steuerhinterziehung sowieso eine Form der Privatisierung und der Graf ein eifriger Verfechter derselben."

Schilys ironische Erfindung trifft die Stimmung in allen Parteien, die auf den Rechtsweg geraten sind, fraglos noch heute. Und gerade dieser Tage hat ein Strafurteil vor Augen geführt, wie schwer es Politikern fällt, eine Erfahrung als Lebenserfahrung anzuerkennen - und aus ihr zu lernen.

Freitag, der 9. Februar, war für die Medien ein heißer Tag. Am Vortag hatte die Landwirtschaftsministerin "eine radikale Wende in der Agrarpolitik" angekündigt. Die Staatsanwaltschaft Bonn hatte ihre Absicht erklärt, das Verfahren gegen Altkanzler Kohl wegen Untreue gegen eine Geldbuße einzustellen. Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Wahlprüfung in Hessen entschieden. Und alle Beteiligten fühlten sich als Sieger. Da lief die Verurteilung des früheren CDU-Schatzmeisters Walter Leisler Kiep wegen Steuerhinterziehung zu 45 000 Mark Geldstrafe durch eine Strafkammer des Landgerichts Augsburg wie ein Bezirksliga-Fußballspiel zwischen Europacup- und Bundesligaergebnissen. Kiep hatte zugegeben, in einer Steuererklärung Zinserträge nicht angegeben und dadurch 8700 Mark Steuer hinterzogen zu haben.

Die Geldstrafe dafür fiel hoch aus. Denn das verurteilende Gericht hatte Kiep seine reiche Erfahrung im Umgang mit der Steuer vorzuhalten. 1991 wurde er in Düsseldorf wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Parteispenden zu 67 500 Strafe verurteilt. 1992 hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil in 41 Fällen wegen "Rechts- und Verfahrensmängeln" und wegen Verjährung auf. Ein verbliebenes Verfahren wurde später gegen 100 000 Mark Buße eingestellt. Kiep habe diese "Warnung" nicht ernst genommen, hieß es in Augsburg. Im Fall seiner persönlichen Steuererklärung - ausgerechnet für das Jahr 1991 - handele es sich um eine "glasklare Steuerhinterziehung". Nach Kieps Geständnis musste sein damaliger Steuerberater - Horst Weyrauch - nicht mehr gehört werden .

Wer versteht schon seine Steuererklärungspflichten? Präsidenten und Kanzler haben sich für hilflos erklärt. Und so wird die Erfahrung mühelos beiseite geschoben. Übrigens versichert jede neue Regierung, sie werde nun endlich Übersichtlichkeit schaffen. Dagegen spricht die Lebenserfahrung.

Gerhard Mauz

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