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Meinung: "Rechtswege": Lebens- statt Sterbehilfe

Die "Hamburger Morgenpost" schmückte am vergangenen Samstag den Artikel "Riester opfert Teil seiner Rentenreform" mit einer Karikatur von Haitzinger. Auf der gibt sich der Wolf mittels einer Nachthaube als Großmutter aus.

Die "Hamburger Morgenpost" schmückte am vergangenen Samstag den Artikel "Riester opfert Teil seiner Rentenreform" mit einer Karikatur von Haitzinger. Auf der gibt sich der Wolf mittels einer Nachthaube als Großmutter aus. Ihn umgibt im Hintergrund kreisförmig das Wort "Generationsvertrag". Aus seinem zusammengepressten Maul ragen gebündelte Tausendmarkscheine. Und durch eine Lesebrille starrt er verstört auf ein kleines Mädchen.

Das Mädchen ist natürlich das Rotkäppchen. An seinem rechten Arm hängt ein großer Korb, auf dem "Rentenbeiträge" steht. Der Korb ist mit gebündelten Tausendmarkscheinen gefüllt. Und mit entsetzten und empörten Augen fragt das Kind die Großmutter, von der wir wissen, dass sie der Wolf ist: "Großmutter, warum lebst du so lange?"

Im vergangenen Monat hat das niederländische Parlament die aktive Sterbehilfe gesetzlich legalisiert. Es steht noch die Zustimmung der Ersten Kammer aus, aber an der wird nicht gezweifelt. Denn schon seit etwa zehn Jahren mussten Mediziner, die aktiv Sterbehilfe leisteten, nicht mehr mit Strafverfolgung rechnen. Jährlich verlangten an die 4 000 Holländer, dass ihnen beim Sterben geholfen wird. Doch die Mediziner, die ihnen beistanden, wurden in einer rechtlichen Grauzone tätig, denn das Gesetz untersagte die Euthanasie.

Damit ist es nun vorbei. Man hat Sicherungen eingebaut. Menschen, die verlangen, dass ihnen beim Sterben geholfen wird, müssen ihren Sterbewillen wiederholt und aus eigener Überzeugung bekundet haben. Sie haben "aussichtslos und unerträglich" unter einer Krankheit zu leiden. Auch ist vor der Hilfestellung ein zweiter Arzt zu hören.

Nicht alle Mediziner in den Niederlanden begrüßen, dass die aktive Sterbehilfe Gesetz wird. Steven Matthysen, Psychiater in Zeist bei Utrecht, sagte dem "Spiegel" zufolge: "Früher mussten sich Ärzte für die geleistete Sterbehilfe rechtfertigen. Jetzt stehen sie mit dem Rücken zur Wand, wenn sie sich weigern, es zu tun." Nicht wenige werden sich verweigern. Ist zum Beispiel eine schwere Depression, an der eine Frau nach dem Tod ihrer beiden Söhne leidet, eine aussichtslose und unerträgliche Krankheit?

Dem "Spiegel" gegenüber hat die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin die holländische Regelung "einen schlimmen Tabubruch" genannt und erklärt: "Wir werden das mit Sicherheit nicht übernehmen."

Und eindrucksvoll hat sich auch Jörg-Dietrich Háoppe, der Präsident der Bundesärztekammer, erklärt. Wenn es eine "Legalisierung der Euthanasie" auch bei uns geben sollte, "dann stehen die Ärzte dafür nicht zur Verfügung." Zwar habe jeder das Recht auf einen würdigen Tod. Aber niemand "hat das Recht darauf, getötet zu werden". Statt der Einführung aktiver Sterbehilfe müsse die Sterbebegleitung und die schmerzmildernde Versorgung ausgebaut werden.

1993 starb die Mutter meiner Frau. Ich habe sie oft an ihrem Krankenbett besucht. Sie hatte, sorgsam durch Medikamente vor Schmerzen bewahrt, noch einige Monate bis zu ihrem Tod. Sie erkannte mich, wenn ich sie besuchte und mich an ihr Bett setzte. Und ab und an sprach sie. Sie sagte etwa, aus ihrem Dämmern heraus, wenn Rudolf, ihr verstorbener Mann, unerträglich gewesen sei, dann sei sie einfach ein paar Tage weggefahren, ohne das anzukündigen und zu sagen, wohin sie fuhr. Und wenn sie dann zurückkam, dann sei es mit ihrem Mann wieder in Ordnung gewesen. Ich sagte dazu, in die Erwartung hinein, mit der sie mich ansah, dass sie das richtig gemacht habe, dass das vernünftig, dass das klug gewesen sei.

Sie lächelte dann. Und so hat sie in den Wochen, die ihr blieben, vieles aus- und angesprochen, was sie noch ordnen wollte für sich. Wir wissen nicht, was eine und einer noch ins Reine bringen möchte und bringen kann in der Zeit, die ihm geblieben ist. Wir sollten ihr und ihm diese Zeit, von deren Sinn sie erst erfahren, wenn sie ihn erleben, nicht verkürzen.

"Gibt es eine Pflicht zu leben?" hat ein holländischer Theologe 1983 gefragt. Nein. Doch Albert Camus schrieb in seinem Kampf gegen die Todesstrafe, "die einzige unbestreitbare Solidarität der Menschen" sei die "gemeinsame Front gegen den Tod".

Warum lebt Großmutter so lange? Die Lebenserwartung der Menschen nimmt zu. Wollen wir ihnen die Verkürzung ihrer Anwesenheit ans Herz legen, ihnen offerieren?

"Sei lieb zu deinen Kindern" steht auf einem grünen Schild in roter Schrift, das ich dieser Tage geschenkt bekam. Und die Unterzeile lautet, in kleinen Buchstaben und in weiß: "Denn Sie suchen Dein Altersheim aus."

Wenn Sie dieser Kommentar beunruhigt: Schieben sie ihn mit einem "Ach so" beiseite. Ich bin gerade 75 Jahre alt geworden.

Gerhard Mauz ist Autor des \"Spiegel\".

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