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Hatte hohe Erwartungen an seine Rede zu Europa geweckt: Bundespräsident Joachim Gauck.

© dpa

Rede des Bundespräsidenten zu Europa: Gaucks Leere

Rückwärts gewandt und politikfern: Der Bundespräsident hat zwar eine Rede voller Europapathos gehalten. Doch ihr fehlte jeder Entwurf für die Zukunft der Staatengemeinschaft. So wirkt sie einfach nur von vorgestern.

Der Beginn seiner Rede war grandios. In wenigen klaren Sätzen beschrieb der Bundespräsident die Krise Europas, er sprach von der Angst vor dem Abstieg, von Verdruss und Regelungswut, von einem Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit der Bürger Europas. Die Krise, sagte Joachim Gauck, „ist auch eine Krise des Vertrauens in das politische Projekt Europa“. Die deprimierenden Rekordarbeitslosenzahlen, die Brüssel mitten in Gaucks Rede hinein verkündete, ließen keinen Zweifel: „Es gibt Klärungsbedarf in Europa.“ Wer wollte dem Bundespräsident da widersprechen?

Am Ende einer Rede, die auch durch das Zutun des Bundespräsidenten große Erwartungen geweckt hatte, lässt sich sagen: Der Klärungsbedarf in Europa ist größer geworden. Um die Frage nämlich, wie Joachim Gauck denken konnte, mit dieser rückwärts gewandten, in sich widersprüchlichen und durch und durch konventionellen Rede das Vertrauen in das politische Projekt Europa wiederherstellen zu können. Der Bundespräsident hat die große europäische Erklärung, die er öffentlich von anderen eingefordert hat, selbst auch nicht geliefert.

Seine Rede ist ein emphatisches Bekenntnis zu einem Europa, das bereits existiert, das sich bewährt hat, und das auch niemand infrage stellt: das Friedens- und Freiheitsprojekt der Nachkriegs- und Nachwendezeit. Sie ist, Gauck sagt es selbst, die Bekräftigung eines Versprechens der Vergangenheit. Dagegen ist nichts zu sagen. Doch zur Vergangenheit besteht kein Klärungsbedarf.

Joachim Gauck, der sich als „bekennenden Europäer“ bezeichnet, will in Europa mehr sehen als einen Krisenfall. Dadurch sieht er die Krise zu wenig. „Takt und Tiefe der europäischen Integration werden letztlich von den Bürgerinnen und Bürgern bestimmt“, behauptet Joachim Gauck. Aber woher kommt dann ihr „Gefühl der Einflusslosigkeit“?

Gauck spricht von den „gemeinsamen europäischen Werten“, ohne diese dem Realitätstest auszusetzen. Wer nicht weiß, dass dieses Europa – trotz aller Erasmus-Programme – in den vergangenen Jahren an den Rand der Spaltung gekommen ist, dass noch immer keine Einigkeit darüber herrscht, wer führen und wer zahlen soll, hört davon in Gaucks Rede nichts. Das Wort „Euro-Krise“ kommt darin gar nicht erst vor. Wenn Solidarität ein europäischer Wert ist, der uns, wie Gauck sagt, alle verbindet, was heißt das dann konkret – für die Griechen, für die Deutschen? Was heißt das für die Politik in einem Euro-Raum, in dem 12 Prozent ohne Arbeit sind?

Ähnlich unklar bleibt, wie die zukünftige politische Struktur Europas aussehen könnte. Mit den Briten will Joachim Gauck „gemeinsam um den Weg zur europäischen res publica streiten“. Doch was bloß ist eine „europäische res publica“? Ein Zentralstaat? Mit den Briten, so naiv dürfte Joachim Gauck nicht sein, braucht man darüber nicht zu reden.

In ihrem politikabgewandten Gestus wirkt die Rede des Bundespräsidenten, als wäre sie vor zehn Jahren verfasst worden. Auch den Ehrgeiz, endlich eine europäische Erzählung zu liefern, spürt man ihr nicht an. Er würde heute nicht mehr so euphorisch nach „mehr Europa“ rufen wie bei seiner Amtseinführung, sagt der Bundespräsident vielversprechend zu Beginn seiner Rede – um dann wieder und wieder genau das zu tun und dabei ins altbekannte Europa-Pathos zu verfallen. So angelegt, hätte die Rede auch im Rest grandios werden können: als öffentliche Darlegung seiner geschrumpften Europa- Euphorie in Zeiten der Krise.

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