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Für welchen Koalitionspartner sich Merkel anschließend entscheidet, ist weiter offen.

© Reuters

Regierungsbildung: Ratlose Machtspiele

Weil Zukunftsangst die Parteien lähmt, scheint die Große Koalition für alle die bequemste Lösung zu sein. Mit Schwarz-Rot lässt sich der Status quo konservieren. Die machtpolitischen Weichen im Parteiensystem könnten derweil woanders gestellt werden.

Drei Wochen ist die Bundestagswahl inzwischen her. Und sieht man einmal von der hektischen Betriebsamkeit ab, von der vor allem die Wahlverlierer nach dem 22. September erfasst wurden, hat sich die politische Gefechtslage in Berlin kaum verändert. Eine Große Koalition ist weiter wahrscheinlich, die schwarz-grünen Gespräche sind vor allem eine politische Lockerungsübung. Aber eine neue Regierung ist weiterhin nicht in Sicht. Die Diskussionen über den Mindestlohn, über Steuererhöhungen oder die Energiewende klingen derweil wie ein verlängerter Wahlkampf. Kompromissbereitschaft wird allenfalls von der jeweiligen Gegenseite erwartet. Und während die Parteien unermüdlich auf der Stelle treten, hat die Regierung ihre Arbeit weitgehend eingestellt.

Diese Woche nun soll es endlich ernst werden. An diesem Montag redet die Union wieder mit den Sozialdemokraten, am Dienstag ein zweites Mal mit den Grünen. Für welchen Koalitionspartner sich Merkel anschließend entscheidet, ist weiter offen. Auch wenn die schwarz-grünen Liebeslieder sehr unbeholfen vorgetragen werden, sind alle Spekulationen über mögliche schwarz-rote Kompromisslinien vor allem eines: Spekulationen. Die Union tut sich schwer mit der Partnerwahl, es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass die Hängepartie weitergeht und die Republik stillsteht.

Die Bundestagswahl hat alle Parteien tief verunsichert

Es hat seinen Grund, dass sich die Politik in diesen Tagen kaum vom Fleck bewegt. Das Ergebnis der Bundestagswahl hat – sieht man einmal von dem immer durchblickenden CSU-Chef Horst Seehofer ab – alle Parteien zutiefst verunsichert.  Die Ahnung, dass das bundesdeutsche Parteiensystem vor einem fundamentalen Umbruch steht, dass neue Allianzen entstehen werden, traditionsreiche Parteien verschwinden und neue die politische Bühne betreten könnten, lähmt die Akteure. Ihre Angst ist groß, die rastlosen Machtspiele können die Ratlosigkeit nicht überdecken.

Die nicht besonders erfolgreiche SPD-Führung kettet sich mit ihrem Mitgliederentscheid an die Basis. Während Kanzlerkandidat Peer Steinbrück abgedankt hat, versuchen sich die beiden verbliebenen Troikaner Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier an ihre Posten an der Spitze der Partei und der Fraktion in die Große Koalition zu retten. Die Parteilinke wird mit der vagen Hoffnung abgespeist, dass es in vier Jahren ein rot-rot-grünes Bündnis geben könnte.

Die Grünen hingegen haben sich nach der Niederlage mit der von dieser Partei gewohnten Konsequenz selbst enthauptet und sind derzeit kaum handlungsfähig. Mit schwarz-grüner Betriebsamkeit wird die dringend notwendige Debatte über die schweren strategischen Fehler der letzten Monate und den verheerenden Wahlkampf verhindert.

Phantomschmerz über das Scheitern der FDP

Die Linke wiederum spielt weiter mit fundamentalistischer Lust ihre rot-rot-grünen Spielchen. Dass es für sie schon in wenigen Jahren zum rot-rot-grünen Schwur kommen könnte, verdrängt die Gysi-Truppe. Auch weiterhin weigert sich die Partei, den Bündnisfall innerparteilich vorzubereiten und mit den Sektierern in den eigenen Reihen abzurechnen.

Selbst den Wahlsieger CDU lähmt die Verunsicherung. Der Phantomschmerz über das Scheitern des natürlichen Koalitionspartners FDP nimmt von Tag zu Tag zu. Die Suche nach einem Koalitionspartner hingegen wird für die Christdemokraten zu einem Aufbruch ins Ungewisse. Egal, ob sie sich für eine Große Koalition oder ein schwarz-grünes Bündnis entscheiden, ein Zurück zur schwarz-gelben Liebe wird es auch in vier Jahren nicht geben. Die Zukunft des Liberalismus in Deutschland ist völlig ungewiss. Zudem ist es überhaupt nicht ausgeschlossen, dass der Union schon bald eine rechtspopulistische und europakritische Partei im Nacken sitzt.

Weil es für alle Beteiligten der bequemste Weg ist, spricht viel dafür, das Deutschland die kommenden Jahre von einer Großen Koalition regiert wird und die Gespräche der Union mit den Grünen nur dazu dienen, die SPD zum Einlenken zu bewegen. Mit Schwarz-Rot lässt sich der machtpolitische Status quo konservieren, damit die großen Parteien mit mehr Ruhe ihre Optionen und Perspektiven sondieren können.

Viel konservieren lässt sich da allerdings nicht. Der Wähler ist längst flexibler als die Parteien. Lange wird dessen Liebe für die Große Koalition nicht währen.

Wer wissen will, welche Weichen die Parteien im Umbruch stellen, der sollte in den kommenden Wochen eher nach Wiesbaden schauen und nicht nach Berlin. Anders als im Bund ist in Hessen Rot-Rot-Grün möglich. Die SPD kann dort also agieren. Weil dies so ist und weil ein Linksbündnis ein Signal weit über Hessen hinaus wäre, müssen die Christdemokraten alles daran setzen, die Grünen für ein schwarz-grünes Bündnis und für das entgegengesetzte Signal zu gewinnen.

Anders als in Berlin versprechen die Sondierungsgespräche in Wiesbaden spannend zu werden. Da ist kein Platz für taktische Mätzchen und einen verlängerten Wahlkampf. Auch mit dem Verharren im machtpolitischen Status quo wäre dort weder der CDU noch der SPD geholfen. Statt im Bund könnte also in Hessen in den kommenden Wochen die Zukunft des Parteiensystems anbrechen.

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