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Bundeskanzlerin Merkel: Ohne Pläne, ohne Plan?

© Reuters

Regierungsstil der Kanzlerin: Die Führungsqualität der Angela Merkel

Der Vorwurf, sie stehe für nichts, richtet sich ausgerechnet gegen Merkels größte Qualität: Sie steht dafür, wirklich jede Position zu räumen, wenn sie zu neuen Einsichten gekommen ist. Soll man das im Ernst schlecht finden?

Ich habe Angela Merkel nicht gewählt. Und ich schließe das für die Dauer ihrer Mitgliedschaft in der Christlich-Demokratischen Union auch weiter aus. Ebenso sicher bin ich aber, dass ich über die Kanzlerin nie wieder hören oder lesen will: Sie bewegt nichts. Sie ist der personifizierte Stillstand. Sie hat keine Pläne und keinen Plan. Sie steht für nichts.

Tatsächlich ist Merkel nämlich im Begriff, dieses Land zu verändern wie kaum einer ihrer Vorgänger, egal welcher politischen Farbe. Womöglich hat die Frau, für die fünf Finger keine Faust zum Auf-den-Tisch-Hauen sind, sondern der vier Finger für ihre Raute genügen, ja wirklich keine Visionen. Aber sie lässt sie wahr werden. Gerade hat sich ihre große Koalition in Gründung im Grundsatz auf eine Frauenquote geeinigt. So wie Merkel den Ausstieg aus der Atomkraft verkündete. Und wie sie jetzt dabei ist, jene doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen, um die ihre Partei noch vor 14 Jahren Identitätskriege und einen erschreckend erfolgreichen Wahlkampf führte.

Auch Merkels Atomausstieg nach dem Einstieg wäre ein gutes Beispiel, aber bleiben wir zur Demonstration des Systems bei der Quote. Lange unterstützte die Kanzlerin die unsägliche „Flexi-Quote“. War ihr entgangen, dass das nicht funktionieren konnte? Gegenfrage: Hätte das Projekt je eine Chance gehabt, wenn sich die Kanzlerin, erste Frau an der Spitze einer großen deutschen Partei, der konservativen zudem, als Chefsuffragette aufgeführt hätte? Die Rolle des bösen Mädchens übernahm ihre Familien-, jetzt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen – während die Chefin zur Staatsfrau reifte und das Gute gab – gute Mädchen, nebenbei, dürfen nie merken lassen, dass sie Frauen sind.

Auch eine andere Lesart ist denkbar: Merkel hat im Fach Geschlechterpolitik einfach dazugelernt. Und damit ist sie unter den Mächtigen nun tatsächlich ein weißer Rabe: Sie kann ihre Meinung ändern und dann ihre Politik. Der Vorwurf, sie stehe für nichts, richtet sich ausgerechnet gegen Merkels größte Qualität: Sie steht dafür, wirklich jede Position zu räumen, wenn sie zu neuen Einsichten gekommen ist. Soll man das im Ernst schlecht finden? 

Merkel ist jeder Kurswechsel zuzutrauen: Das ist gut

Es ist sogar mehr als gut. Es ist der Bruch mit einer uralten Auffassung von Macht, die Nachdenklichkeit als Schwäche, Kurswechsel als Unentschlossenheit oder Wankelmut liest. Und die sich historisch bestenfalls als erfolglos – nicht zukunftsfeste Unternehmen liefern dafür immer neue Beispiele –, im schlimmeren Fall als katastrophal erwiesen hat. Das große Buch des australischen Historikers Christopher Clark hat das gerade eindrucksvoll für den Ersten Weltkrieg beschrieben: Irgendwie ahnten erstaunlich viele Akteure, dass ihre Racheschwüre und ihr Säbelrasseln schrecklich enden würden. Aber die Angst war stärker, dass ein Innehalten, Gespräche ihnen als Schwäche ausgelegt würden. Am Ende waren zehn Millionen Menschen tot.

Andrea Dernbach ist Redakteurin in der Politikredaktion des Tagesspiegels
Andrea Dernbach ist Redakteurin in der Politikredaktion des Tagesspiegels

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein zu pathetischer Vergleich? Das Europa, das sich als Konsequenz aus zwei schrecklichen Kriegen begreift, steckt gerade wieder in einer tiefen Krise, die hoffentlich nicht mit Waffen ausgetragen wird. Aber sie hat bereits zu Elend im Süden der EU geführt, zu Wut auf ein übermächtiges Deutschland und zu gefährlichen Unwuchten im Machtgefüge der Union. Früher hätte das für einen Krieg gereicht. Und tatsächlich könnte Merkel auf diesem Feld den letzten Beweis bringen, dass sie wirklich lernfähig ist. Wird sie, ein mehr als üppiges Wahlergebnis im Rücken, den Mut haben, den alten Trampelpfad „deutsche Interessen“ zu verlassen und ihren Landsleuten erklären, dass am deutschen Wesen – Verwaltung, Steuer- und Sparpolitik – nicht schon wieder alle Welt genesen kann oder will? Und dass das tatsächlich im besseren deutschen Interesse wäre? Wird sie in der Umweltpolitik, in Sachen Energiewende die Schlangenhaut der Autokanzlerin und ein paar andere Häute abstreifen? 

Zuzutrauen ist ihr jeder Kurswechsel. Sie kann’s nicht, lautet das Vorurteil. Nein, sie sagt’s nur nicht. Dass dies kaum verstanden wird, könnte auch mit einer politischen Öffentlichkeit zu tun haben, die lieber (starke) Worte hört, als Taten zu entziffern. Auch das scheint Merkel zu wissen und zu nutzen. Während für Italien das Wort eines seiner großen Dichter gilt, dass sich alles ändern müsse, damit alles bleibt, wie es ist, gilt für uns genau das Gegenteil: Nur wenn nichts sich zu ändern scheint, ist es möglich, dass sich alles ändert.

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