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Meinung: Reise in die Vergangenheit

Merkel in Paris: Doch das Symbolhafte der deutsch-französischen Beziehungen verblasst

Jacques Chirac wird Deutschland nie mehr so nahe kommen: Auf Armeslänge wird er sich heute der neuen deutschen Kanzlerin nähern, wenn er ihr zur Begrüßung, wie er es gerne tut, die Hand küsst. Ihren Vorgänger hat er stets umarmt. So aggressiv innig waren diese Umarmungen zwischen Chirac und Schröder, dass aus ihnen auch immer Abgrenzung sprach. „Wenn die Elefanten tanzen, seufzt das Gras“, lautet ein afrikanisches Sprichwort und bei Chiracs und Schröders Umarmungen seufzte der Rest von Europa.

Angela Merkel hat die erste Chance, ihre Kanzlerschaft mit einem symbolhaften Neuanfang zu markieren, verstreichen lassen. Sie macht ihre Antrittsauslandsreise nach Paris, nicht nach Warschau oder London, und pflegt damit ein zwar bewährtes, aber zunehmend bedeutungsloses Ritual. Die Pflege der deutsch-französischen Beziehungen, die der Partei Adenauers, immer ein besonderes Anliegen war, ist heute weniger wichtig, weil sich mit ihr nicht mehr zentrale Themen deutscher Außenpolitik verbinden.

„Wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen“, hat der Luxemburger Jean-Claude Juncker vor kurzem noch gesagt, doch die Vergangenheit als Grundlage, als Rechtfertigung gar, einer politischen Vorreiterrolle in Europa greift immer weniger. Verdun, so ist Geschichte, verblasst gegenüber den neuen Soldatenfriedhöfen in Bosnien. Damit verliert das Symbolhafte der deutsch-französischen Aussöhnung auch an Ausstrahlung für die Gegenwart.

Ihre zweite historische Bedeutung erhielten die deutsch-französische Beziehungen als Doppelmotor der europäischen Integration. Doch auch diese Rolle gehört der Vergangenheit an: Beide Länder sind wirtschaftlich ein Schatten ihrer früheren Stärke. Die Debatte um den Irakkrieg machte den gesunkenen Einfluss beider Länder in Europa deutlich, seit der Ablehnung der europäischen Verfassung ist Frankreich politisch isoliert.

Als Angela Merkel im Juni Paris besuchte, betonte sie, dass für die Beziehungen beider Länder „fundamental“ seien. Wenn sie heute, als Kanzlerin, nach Paris kommt, trifft sie auf einen angeschlagenen Staatspräsidenten, um dessen Amt sich bereits die Nachfolger balgen.

Zu jenen spätgaullistischen Umarmungen, mit denen er Schröder einfing, ist Chirac ohnehin nicht mehr in der Lage; ein Staatspräsident, der bei seinem eigenen Land eine Identitätskrise diagnostiziert, wird die EU kaum noch als Gegenmacht zu den USA instrumentalisieren können, geschweige denn, glaubwürdig Ratschläge für eine neue europäische Sozialpolitik austeilen. Aus starker Symbolik ist schwache Politik geworden.

Wenn sie Interesse an einem politischen Neuanfang in Europa hat, sollte Angela Merkel 2007 noch einmal nach Paris fahren. Dann steht Chiracs Nachfolger fest.

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