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Meinung: Renate Künast: 100 Tage Geschwindigkeit

Marodierende Bauern auf den Straßen und Treckerdemonstrationen sind ein mächtiges Druckmittel. Jahrzehntelang konnten sich die deutschen Agrarminister darauf verlassen.

Marodierende Bauern auf den Straßen und Treckerdemonstrationen sind ein mächtiges Druckmittel. Jahrzehntelang konnten sich die deutschen Agrarminister darauf verlassen. Und da die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik zu einem undurchschaubaren Dschungel geworden ist, fragte auch niemand, wofür die Landwirtschafts-Subventionen genau ausgegeben werden. Die Agrarminister durften sich mächtig fühlen, solange die breite Öffentlichkeit nichts von ihnen wollte. In Wahrheit tanzten Kiechle, Borchert oder Funke nach der Pfeife der Agrarlobby.

Zum Thema Online Spezial: BSE Mit dem Amtsantritt der Grünen, Renate Künast, vor 100 Tagen änderte sich das schlagartig. Denn sie war von einer weit mächtigeren Lobby an die Macht gebracht worden: den Verbrauchern. Aus Angst vor BSE kam monatelang zumindest kein Rindfleisch mehr auf den Teller. Diese Demonstration war machtvoll genug, um sogar den Bundeskanzler das Ende der Agrarfabriken fordern zu lassen.

Dass das leichter vom Kanzler gesagt als von einer Verbraucherministerin getan ist, hat Renate Künast schnell gemerkt. Ihre erste Reise zum Agrarministerrat nach Brüssel war auch ihre erste Niederlage. Gerade sie konnte nicht verhindern, dass die EU ein Rinder-Vernichtungsprogramm auflegte, um den Rindfleisch-Markt zu entlasten. Denn just die deutschen Verbraucher hatten diesen mit ihrem erfolgreichen Rindfleisch-Boykott ja zum Zusammenbruch gebracht. Die Verbraucher - in ihrer Nebenrolle als Tierfreunde - machten der Ministerin trotzdem die Hölle heiß. Renate Künast musste schnell erkennen, dass ihre Lobby zwar weit mächtiger ist als die alte Kumpanei zwischen Bauern, Pharma- und Ernährungsindustrie, aber wankelmütig und gespalten: der eine Verbraucher denkt im Normalfall anders als der andere und will am nächsten Tag etwas drittes.

Renate Künast muss sich nicht nur durch das Dickicht des europäischen Agrarfilzes schlagen. Sie muss auch noch schnelle Erfolge vorweisen. Denn eines eint die Verbraucher: Sie haben keine Geduld. Genauso wenig wie der Kanzler. Dass sie seit 100 Tagen beinahe ausschließlich Krisenmanagerin ist, gilt da nicht als Entschuldigung. Ist aber ein Problem. Nicht nur, dass die Ministerin mit den Folgen der BSE-Krise fertig werden muss. Seit Mitte Februar muss sie damit rechnen, dass die Maul- und Klauenseuche auch in Deutschland ausbrechen könnte. Damit kämen weitere Kosten auf sie zu. Dabei bräuchte sie das Geld dringend, um die versprochene Wende anzustoßen.

Die Verbraucherschutzministerin hat zu Beginn ihrer Amtszeit einige Fehler gemacht. Sie hat es versäumt, die Umweltverbände als ihre natürlichen Verbündeten mit ins Boot zu holen, was diese ihr zur 100-Tage-Bilanz deutlich vorhielten. Sie hat sich zu sehr auf die alten Berater Funkes verlassen, die ihr etwa in der 90-Bullen-Frage das Falsche geraten haben und nun offen anzweifeln, ob Künast ihre Ziele überhaupt erreichen kann. Sie hat versucht, in Brüssel mit dem Kopf durch die Wand zu brechen. Doch Renate Künast ist eine kluge Frau, die ihre Lektion im Eiltempo lernt. Es ist ihr nicht nur gelungen, in wenigen Wochen die verschlungenen Strukturen zu durchschauen. Sie hat in Brüssel inzwischen auch einen anderen Ton angeschlagen und erste Erfolge erzielt. So in der Impffrage: Wenn im Gefahrenfall geimpft wird, darf zumindest Rindfleisch regional vermarktet werden. Scheiterhaufen aus tausenden Tieren wird sie der deutschen Öffentlichkeit selbst dann nicht präsentieren müssen, wenn die Maul- und Klauenseuche doch noch ausbricht.

Sie hat in Deutschland die Weichen richtig gestellt. Bis Mitte des Jahres will Künast mit den Ländern einig sein, wie die deutschen Agrar-Millionen im kommenden Jahr ausgegeben werden. Zudem will sie Subventionen künftig an ökologische oder kulturelle Vorgaben binden und den Großbetrieben einen Teil ihrer Zuschüsse wegnehmen, um dieses Geld in die Ökologisierung der Landwirtschaft zu investieren. Das lässt die EU schon lange zu, Deutschland hat bisher auf diese Möglichkeit verzichtet.

Das ist eine gute Basis für die Agrarwende. Jetzt muss sie nur noch die Verbraucher überzeugen. Denn wenn diese demnächst wieder zur Tagesordnung übergehen und vor allem dort einkaufen, wo es am billigsten ist, hat die Agrarreform keine Chance. Renate Künast braucht eine mächtige Lobby.

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