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Rente mit 67: Sozialdemokratische Rechenspiele

Die SPD will sich von der umstrittenen Rente mit 67 verabschieden. Dabei präsentiert sie plötzlich Zahlen, die sie auch schon vor drei Jahren in der großen Koalition hätte kennen können. Ein Kommentar.

Der Dachdecker kommt in diesen Tagen wieder einmal zu politischen Ehren. Denn immer dann, wenn in diesem Lande über die Rente mit 67 debattiert wird, muss dieser Beruf den Kritikern als mahnendes Beispiel dienen und die Begründung dafür veranschaulichen, warum die Erhöhung des Rentenalters für bestimmte Berufsgruppen unzumutbar ist. Wenn ein Dachdecker gerade nicht verfügbar ist, tut es auch eine Krankenschwester.

Vor drei Jahren hat die große Koalition mit Blick auf die Demografie die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters beschlossen. Zwischen 2012 und 2029 steigt dieses in monatlichen Stufen von derzeit 65 auf 67 Jahre. Betroffen sind damit alle Geburtsjahrgänge ab 1947. Für alle, die 1964 oder später geboren sind, greift die Neuregelung voll. Wer früher in Rente geht, muss Abschläge hinnehmen. Deshalb nennen die Kritiker die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auch eine verkappte Rentenkürzung.

Trotzdem gibt es derzeit eigentlich keinen Grund, ausführlich über Dachdecker oder Krankenschwestern und deren Arbeitsbedingungen zu sprechen. Die große Koalition hat zwar zusammen mit dem Gesetz eine Prüfungsklausel beschlossen, aber die Zahlen, die der Entscheidung von 2007 zugrunde lagen, haben sich nicht geändert. In der Begründung des Gesetzes gingen Union und SPD damals von einer Erwerbstätigenquote der 55- bis 64jährigen von „rund 45 Prozent“. In den letzten beiden Jahren ist diese sogar leicht gestiegen. Viel spricht zudem dafür, dass die Quote angesichts der demografischen Entwicklung und des daraus resultierenden Fachkräftemangels in den kommenden zwei Jahrzehnten weiter steigen wird.

Machtkampf in der SPD

Trotzdem rüttelt die SPD nun an dem Gesetz, allerdings hat dies innerparteiliche Gründe. Die Parteilinke will sich nicht nur von der Rente mit 67 distanzieren, sondern auch von der Politik der großen Koalition insgesamt. Mit der Abkehr von dem umstrittenen Beschluss, den viele Sozialdemokraten für die derbe Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 entscheidend mitverantwortlich machen, soll auf dem Parteitag Ende September symbolträchtigen der Kurswechsel vollzogen werden. Gleichzeitig könnte so der Machtkampf zwischen dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und dem Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier vorentschieden werden. Steinmeier will an den Beschlüssen der großen Koalition, die er als Regierungsmitglied maßgeblich mitzuverantworten hatte, festhalten. Gabriel hingegen würde am liebsten nichts mehr davon wissen, dass er damals am Kabinettstisch seine Hand gehoben hat.

„Es gibt neben der demografischen eine arbeitsmarktpolitische Wirklichkeit“, sagt Gabriel an diesem Mittwoch in einem Zeitungsinterview und fordert, die Reform zu verschieben, bis mehr Menschen in Arbeit sind. Dazu wirft Generalsekretärin Andrea Nahles der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen vor, „sie ignoriere die Realitäten auf dem Arbeitsmarkt und rechnet sich die Zahlen schön“. Die Christdemokratin zähle in ihre Berechnungen unter anderem auch Selbständige, Beamte, Altersteilzeit und Mini-Jobber mit - selbst solche, die nur eine Stunde arbeiten, so Nahles. Tatsächlich betrage die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei den über 60-jährigen nur 21,5 Prozent.

Offensichtlich jedoch gibt es neben der demografischen und der arbeitsmarktpolitischen auch noch eine sozialdemokratische Wirklichkeit. Vor allem diese hat sich fundamental geändert, seit die SPD wieder eine Oppositionspartei ist.

Alle Zahlen hingegen, die die SPD nun vorträgt, hätte sie auch schon vor drei Jahren kennen können, als die im Bundestag der Einführung der Rente mit 67 zugestimmt hat. Entweder also haben die Sozialdemokraten damals die Zahlen ebenso schön geredet oder sie versuchen sich jetzt mit Hilfe der Statistik aus der Verantwortung für ihre Entscheidung aus der Zeit der großen Koalition davon zu schleichen.

Für die innerparteilichen Ränkespiele mögen solche sozialdemokratischen Rechenticks hilfreich sein. Das Vertrauen der Wähler gewinnen die Sozialdemokraten so jedoch nicht zurück, nicht einmal das der Dachdecker und der Krankenschwestern.

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