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Meinung: Rentenurteil: Weniger Steuern, mehr umsteuern

Nichts ist schwerer im sozialen Rechtsstaat als Gerechtigkeit, nichts undurchschaubarer als das Steuerrecht. Beides vereint sich zu einer der kompliziertesten Gestaltungsaufgaben der Politik.

Nichts ist schwerer im sozialen Rechtsstaat als Gerechtigkeit, nichts undurchschaubarer als das Steuerrecht. Beides vereint sich zu einer der kompliziertesten Gestaltungsaufgaben der Politik. Jetzt hat ihr das Bundesverfassungsgericht ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Die Politik hat diese Aufgabe in den letzten 20 Jahren nicht mehr bewältigt. So lautet die zentrale Botschaft des Urteils vom Mittwoch.

Das Gericht hat sie ausgezeichnet verpackt. Es schreibt dem Gesetzgeber den Systemwechsel in der Steuerpolitik nicht vor, ermuntert ihn aber dazu. Es lässt ihm dafür Zeit, setzt ihn aber endlich mit einem Datum unter Druck. Drei Regierungen haben sich den Ball zugespielt, bevor er wieder in Karlsruhe landete. Nun liegt er endgültig dort, wo er hingehört: im Feld der Politik.

Die Verfassungsrichter haben sich beschieden. Sie haben lediglich einen Schlussstrich unter einen alten Streit gezogen. Bisher bezahlt der Arbeitnehmer seine Beiträge aus bereits versteuertem Einkommen und muss dafür bei Bezug der Rente nur noch den so genannten Ertragsanteil abführen. Das klingt fair, ist es aber nicht. Denn dank Freibeträgen und Pauschalen zahlten die meisten Rentner fast nichts mehr an den Staat.

Dass Pensionäre eine größere Last zu schultern hatten, hat das Gericht immer gesehen. Deshalb hatte es schon 1980 einen steuerpolitischen Appell an den Gesetzgeber gerichtet, der dem vom Mittwoch durchaus ähnlich ist. Der Fiskus jedoch hatte es sich zwischen den einschlägigen Paragraphen auf Kosten der Pensionäre längst zu bequem gemacht, als dass er sich noch einmal erhoben hätte. Jetzt hält das Gericht nicht mehr daran fest, dass die gesetzliche Rente für die Steuer heilig ist. Der Weg zur nachgelagerten Besteuerung ist frei.

Karlsruhe musste - einmal mehr - nur deshalb deutlich werden, weil eine Bundesregierung zum Anschub unpopulärer, aber nötiger Reformen so gern auf höhere Mächte verweist. Finanzminister Eichel hatte die Pläne in der Schublade und nutzt die Gunst der Stunde nun für etwas, das vor allem Ökonomen schon lange fordern: sowohl die Rentenbeiträge als auch die Auszahlung geringer und mittlerer Renten weitgehend steuerfrei zu stellen, um die Vorsorge zu erleichtern. Das lässt hoffen, dass am Ende bei der Altersversorgung ein Kardinalsprinzip des Steuerrechts wieder zu mehr Geltung gelangt. Denn Steuern sollen vor allem nach Leistungsfähigkeit gezahlt werden. Wer im Alter gut versorgt ist, soll ordentlich abgeben müssen. Das betrifft Rentner - und Pensionäre.

Die meisten dürfen sich deshalb als Sieger fühlen. Nur Grund zum Jubeln gibt es nicht. Natürlich kostet Eichels Projekt Geld, das er nicht hat und sich erst holen muss. Aber dafür hat er, ja haben die Eichels der Zukunft ausreichend Zeit. Bis 2005 muss der Gesetzgeber lediglich einen aktuell verfassungswidrigen Zustand beseitigt haben. Darüber hinaus bleibt genug Raum, die Lasten verträglich zu verteilen.

Die scheidende Gerichtspräsidentin Jutta Limbach hat Recht, die Menschen zu beruhigen. Das Gros der Rentner wird nicht zwangsläufig ärmer, und Pensionäre werden nicht unbedingt reicher. Auch die Union mag sich beruhigen. Das Urteil schildert ein kniffliges politisches Großprojekt mit ungewissem Ausgang. Wahlkampfzunder birgt es nicht. Dafür bietet es auch nur wenig Hoffnung auf mehr Transparenz im Steuerrecht, wie sie der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchof stets verlangt hat. Seine Devise: Nur einfache Steuern sind gerechte Steuern. Gerechter wird es jetzt vielleicht - aber einfacher? Zumindest so viel ist sicher: Bei Steuern ist keine Lösung einfach.

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