zum Hauptinhalt

Reproduktionsmedizin: Samen – wollt ihr ewig leben?

Eine Frau will ein Kind von ihrem verstorbenen Mann. Der tragische Fall zeigt einmal mehr, dass die Reproduktionsmedizin in einer ethischen und rechtlichen Grauzone arbeitet.

Das Schicksal der Ines S. ist der Stoff, aus dem Boulevardgeschichten gemacht werden. Sechs Jahre lang und „unzählige Male“ („Stern“) versuchten die Büroangestellte und ihr Mann Sandro, ein Kind zu bekommen. Doch das Glück sollte dem jungen Paar aus Mecklenburg verwehrt bleiben. Im Frühjahr 2008 diagnostizierten die Ärzte verklebte Eileiter und empfahlen eine künstliche Befruchtung. Im Labor wurden Ines’ Eizellen mit Sandros Samen vereint, dann setzten die Ärzte drei befruchtete Eizellen direkt in die Gebärmutter ein – doch die Schwangerschaft scheiterte nach wenigen Wochen. Im Juli 2008 folgte der nächste Schicksalsschlag: Der 31-jährige Sandro starb bei einem Motorradunfall.

Zwei Wochen nach dem tragischen Tod kam Ines S. der Einfall, der deutsche Rechtsgeschichte schreiben sollte: In der Dietrich- Bonhoeffer-Klinik in Neubrandenburg lagerten noch neun weitere Eizellen, die mit dem Samen ihres verstorbenen Mannes „imprägniert“ worden waren. Weil in Deutschland die Herbeiführung einer Schwangerschaft mit dem Samen eines Toten verboten ist, wollte sie den Eingriff in Polen durchführen lassen. Doch die Klinik verweigerte die Herausgabe der Zellen. Ein Gericht gab den Ärzten recht, weil auch die Beihilfe zu einer im Ausland begangenen Straftat verboten ist.

Doch so leicht wollte Ines S. nicht aufgeben. Sie zog vor das Oberlandesgericht (OLG), erzählte ihre Geschichte der Boulevardpresse und kämpfte bei „Kerner“ dafür, dass sie von ihrem toten Sandro ein Kind bekommen darf. Vergangenen Freitag gab das OLG Rostock der 29-Jährigen schließlich recht, „im Namen des Volkes“ – Ende gut, alles gut?

Der tragische Fall zeigt einmal mehr, dass die Reproduktionsmedizin in einer ethischen und rechtlichen Grauzone arbeitet. Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verbietet ausdrücklich die „Befruchtung“ einer Eizelle mit dem Samen eines Toten. Der Gesetzgeber hatte dafür einen guten Grund: Jedes Kind soll zumindest am Beginn seines Lebens das Recht auf Vater und Mutter haben. Auch die Verwendung von Eizellen einer Toten ist deshalb ohne Ausnahme verboten. Das OLG Rostock argumentiert jedoch, die tiefgefrorenen Eizellen der Ines S. seien bereits „befruchtet“ worden, weswegen das Verbot des ESchG hier nicht greife. Da es nur um die Frage der Strafbarkeit ging, spielte das Kindeswohl keine Rolle.

Tatsächlich ist die deutsche Rechtsdefinition, wonach das Leben erst etwa 24 Stunden nach dem Eindringen des Spermiums in die Eizelle beginnt, höchst willkürlich. Weil es sich erst dann um einen „Embryo“ handelt, hat die imprägnierte Eizelle davor im „Vorkernstadium“ noch keine Menschenrechte. Sobald das Erbmaterial jedoch verschmolzen ist, kommt dem Embryo der volle Schutz des Grundgesetzes zu. Die Grenzziehung hat keine ethischen, sondern religiöse und kommerzielle Gründe: Auf diese Weise wird die Verwendung von Embryos zur Heilung von Krankheiten verboten („therapeutisches Klonen“), wogegen für künstliche Befruchtungen zehntausende von rechtlosen „Vorkernstadien“ tiefgefroren und weggeworfen werden dürfen.

Die Rostocker Richter haben richtig erkannt, dass das neue Leben bereits ab der Verschmelzung von Samen und Eizelle (Imprägnation) seinen Lauf nimmt. Deshalb kann das Auftauen und Einpflanzen imprägnierter Eizellen auch keine „Befruchtung“ mehr sein. Der deutschen Reproduktionsmedizin haben sie damit jedoch einen Bärendienst erwiesen: Wenn das Leben bereits mit der Imprägnation beginnt, lässt sich die Rechtlosigkeit der „Vorkernstadien“ nicht mehr begründen. Dass diese als bloße „Sache“ behandelt werden, weshalb sie auch an die Eigentümerin herausgegeben werden müssen, wäre mit menschlichem Leben unvereinbar. Es ist auch keineswegs klar, warum das Kindeswohl gegenüber dem Wunsch der Mutter, ihren toten Mann „weiterleben“ zu lassen, zurücktreten muss. Auch weiß niemand, ob Sandro S. damit überhaupt einverstanden gewesen wäre.

Mit gutem Grund hat das OLG deshalb die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Die Klinik hat allerdings schon angekündigt, keine Rechtsmittel einzulegen. Sieht ganz so aus, als wollten die Reproduktionsmediziner keine schlafenden Hunde wecken.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false