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Alexander Kekulé

© J. Peyer

Resistente Keim auf Hühnerfleisch: Vom Stall ins Krankenhaus

Noch immer setzt die industrielle Tierhaltung Antibiotika ein. Solange das nicht gestoppt wird, werden tödliche Keime in den Krankenhäusern weiter zunehmen.

Neuerdings gibt es im Fernsehen, neben dem schon penetranten Geköchel und Gebrutzel, auch Gourmet-Tipps besonderer Art: Infektionsverdächtige Lebensmittel, so warnt das Verbraucherschutzministerium seit der Ehec-Epidemie, sollen mindestens auf 70 Grad erhitzt werden. Für Fleisch verwendete Küchenutensilien dürfen nicht mit rohen Speisen in Kontakt kommen. Die Hände sind nach jedem Arbeitsgang mit Seife zu waschen. Nur die in OP-Sälen üblichen Latexhandschuhe und Gesichtsmasken werden, derzeit, für die Küche noch nicht empfohlen.

Anlass für den erneuten Bakterienalarm an Deutschlands Herden sind multiresistente Keime auf Hühnerfleisch. Im November hatten Studien aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen für Aufsehen gesorgt, wonach über 96 Prozent aller Masthähnchen mindestens einmal in ihrem kurzen Leben Antibiotika bekommen. Diese Woche legte die Umweltorganisation BUND eine Untersuchung von Hähnchenfleisch aus deutschen Supermärkten nach: Elf von 20 Proben enthielten multiresistente Bakterien der gefürchteten Typen MRSA oder ESBL.

Der stereotype Aufruf zu mehr Küchenhygiene geht jedoch an der Sache vorbei. Von Lebensmitteln übertragene MRSA- und ESBL- Bakterien führen, im Gegensatz zu Durchfallerregern wie Ehec oder Salmonellen, nur extrem selten zu Erkrankungen. Denkbar wäre zum Beispiel die Infektion einer Schnittwunde durch MRSA – solche Lokalinfektionen sind aber fast immer problemlos heilbar. Zur Gefahr werden die multiresistenten Keime erst, wenn symptomlose Überträger sie an Menschen mit schwachem Immunsystem weitergeben. Auf Frühgeborenen-Intensivstationen etwa wird eine Zunahme tödlicher ESBL-Infektionen beobachtet. Fachleute vermuten, dass diese gegen viele Antibiotika unempfindlichen Bakterien aus der Landwirtschaft stammen. Sie werden primär über Tierkontakte und Mitarbeiter der Nutztierhaltung und Fleischverarbeitung auf die Bevölkerung übertragen – durch Küchenhygiene ist das nicht zu verhindern.

Antibiotika wurden früher in großem Stil in der Tiermast eingesetzt, weil sie – gewissermaßen als Nebenwirkung – auch das Wachstum fördern. Seit 2006 ist dieses Wachstumsdoping in der EU verboten. Doch dürfen ganze Herden „metaphylaktisch“ behandelt werden, wenn ein einzelnes Tier erkrankt ist. Aufgrund dieser Ausnahmeregelung bekommen deutsche Masthähnchen durchschnittlich an 7 ihrer 38 Lebenstage drei verschiedene Antibiotika. Schweine werden durchschnittlich 5,9-mal, Rinder 2,3-mal behandelt. Da der Tierarzt die Medikamente selbst verkaufen darf, verdient er kräftig mit. Ganz offensichtlich dient die „Metaphylaxe“ als Vorwand, weiter Wachstumsdoping zu betreiben. Da wäre es eigentlich naheliegend, Antibiotika in der Tiermast nur noch bei strenger Indikation zuzulassen und die Abgabe staatlich zu kontrollieren. Die Verbraucherschutzministerin ist jedoch auch für die Landwirtschaft zuständig. Und der Deutsche Bauernverband wehrt sich, gemeinsam mit dem Bundesverband Praktizierender Tierärzte, gegen eine Einschränkung der „Behandlungsmöglichkeiten erkrankter Tiere“ und behauptet, die bereits obligatorischen „Rückstandskontrollen“ auf Tierarzneimittel würden belegen, dass die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden.

Doch die Rückstandskontrollen überprüfen nur, ob die vorgeschriebenen Wartezeiten zwischen Arzneimittelgabe und Schlachtung eingehalten wurden. Auf Bakterien wird gar nicht untersucht, mit gutem Grund: Nach einer Antibiotikabehandlung werden resistente Keime monate- bis jahrelang ausgeschieden, bei gedopten Masttieren wären sie deshalb fast immer nachweisbar.

Neuere Untersuchungen zeigen, dass sich resistente Keime aus der Nutztierhaltung in der Umwelt lange halten und sogar weiterentwickeln können. Zudem bewirken bereits Antibiotikakonzentrationen, die weit unter den bei Rückstandskontrollen zulässigen Höchstmengen liegen, eine Selektion resistenter Bakterien in der Umwelt. Solange die industrielle Tierhaltung den Antibiotikaeinsatz nicht drastisch verringert, werden tödliche Keime in den Krankenhäusern weiter zunehmen.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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