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Meinung: Respekt – was heißt das eigentlich?

Zur Berichterstattung über den Fall Ursula Sarrazin Als ich geboren wurde, da war ein Opfer oder gar Opferbereitschaft ein großes Wort. Ich weiß nicht, in welchem Stadtteil Frau Sarrazin unterrichtet.

Zur Berichterstattung über den Fall

Ursula Sarrazin

Als ich geboren wurde, da war ein Opfer oder gar Opferbereitschaft ein großes Wort.

Ich weiß nicht, in welchem Stadtteil Frau Sarrazin unterrichtet. Doch las ich das Buch von Frau Kirstin Heisig „Das Ende der Geduld“ – und in diesem Buch wird geschildert, wie das Wort Opfer heute verstanden wird – von jungen Leuten in Neukölln zum Beispiel. Ich möchte fast annehmen, es wird von manchen „Kindern“ aus manchen Familien so aufgefasst wie A...loch, wenn man so angesprochen wird. Und wenn dann das Kind nach Hause kommt und sein Vater erfährt, die Lehrerin habe den Sohn Opfer genannt, dann muss ich mich nicht wundern, dass dieser Vater meint, der Lehrerin den Hals umdrehen zu müssen, damit die Ehre der Familie wiederhergestellt ist. Kann auch sein, dass es übertrieben ist, wenn man als Lehrerin verlangt und erwartet, dass man von den Schülern in der Schule, aber auch in der Öffentlichkeit von den Eltern der Schüler respektiert wird. Aber was ist das? Respekt? Auch ein sonderbares Wort.

Paul Krüger, Sachsenhausen

Sehr geehrter Herr Krüger,

zu den Unterrichtsformen von Frau Sarrazin kann und will ich nichts sagen. Ich kenne weder sie noch ihren Unterricht. Was ich dazu in den letzten Tagen gelesen habe, erscheint mir in Inhalt und Ton nicht geeignet, zu einem angemessenen Urteil zu kommen. So kann ich nur hoffen, dass die Beteiligten in gegenseitigem Respekt eine Lösung für diesen Konflikt finden.

Damit ist der Begriff gefallen, nach dessen Bedeutung Sie fragen: Respekt. Schon in den lateinischen Texten, in denen wir ihn finden, schillert er. „Respektieren“ kann einfach heißen „zurückschauen“. Daraus wird die „Rücksicht“, die ich auf andere nehme. Diese steigert sich zum Ansehen, das ich jemandem schenke. Schließlich gibt es die aufgrund ihres Auftretens oder Amtes angesehene „Respektperson“. Sie löst vielleicht sogar Scheu, wenn nicht gar Ehrfurcht bei ihrem Gegenüber aus. All das schwingt mit, wenn wir anderen Respekt erweisen. Solcher Respekt ist nicht in das Belieben jedes Einzelnen gestellt. Die viel beschworenen Menschenrechte betonen die Würde jedes Menschen. Daraus leitet sich die Forderung ab, jeden Menschen zu achten. Anders gesagt: Wir schulden einander Respekt - ohne Ausnahme!

Zweierlei ist damit nicht gesagt: Selbstverständlich muss, ja darf nicht alles, was Menschen tun, respektiert werden. Niemand kann sich, wenn er andere böswillig schädigt, dafür auf den ihm geschuldeten Respekt berufen. Gleichwohl verlangt unsere Rechtsordnung, dass wir zwar nicht seine Tat, aber den Täter als Menschen achten. Das heißt – so die zweite Einschränkung – natürlich nicht, dass ich jeden Menschen mögen muss. Zuneigung, emotional getragene Liebe werden wir nur einer begrenzten Zahl von Menschen schenken. Respekt schulden wir allen.

So unverzichtbar der respektvolle Umgang miteinander für unser Zusammenleben ist, so wenig selbstverständlich ist er. Er muss eingeübt werden, fordert Regeln, ist oft anstrengend. Der Schule kommt hier eine ganz zentrale Bedeutung zu. Sie ist einer der ersten Räume, in dem Kinder eng und lange mit Menschen zusammen sind, mit denen sie nicht durch Verwandtschaft oder Freundschaft verbunden sind.

Nicht selten bringen sie schon bittere Erfahrungen von Respektlosigkeit, Missachtung, gar Missbrauch mit. Mit ihnen Respekt einzuüben, ist nicht leicht. Doch alle Methoden solchen Lehrens lassen sich zurückführen auf den einfachen Satz: Respekt erwarten kann ich nur von denen, denen ich respektvoll begegne. Es macht deren Beruf nicht leicht, dass Lehrerinnen und Lehrer hier immer wieder in Vorleistung gehen müssen.

Das gilt besonders dort, wo Jugendliche sich mit der Formel „Du Opfer“ begrüßen. Da geht es nicht um die Bereitschaft, zugunsten anderer auf eigene Vorteile zu verzichten – also nicht um die positiven Aspekte des Begriffs „Opfer“, auf die Sie, Herr Krüger, verweisen. Es geht darum, andere zum Opfer zu machen (das Englische hat dafür einen eigenen Begriff: „victim“ statt „sacrifice“). „Du Opfer“ ist deshalb mehr als ein vulgäres Schimpfwort. Es sagt: „Ich habe Macht über dich. Ich kann dich vernichten. Du zählst nicht.“ Der Weg von dieser Haltung zum Respekt ist weit. Aber es gibt zu ihm keine wünschenswerte Alternative.

Mit freundlichem Gruß,

Ihr Michael Bongardt

— M. Bongardt ist Vizepräsident der FU Berlin. Er leitet dort das Institut für Vergleichende Ethik.

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