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Meinung: Revolution nach Lage

Ägyptens Oppositionelle sind zerstritten, weil ihre Interessen so unterschiedlich sind.

Genau eine Woche ist der Militärputsch nun her – und schon wieder steht Ägypten kurz vor einer weiteren politischen Massenkarambolage. Die Tahrir-Allianz ist zerfallen, die Salafisten präsentieren ein eigenes Übergangskonzept. Großscheich Ahmed al Tayyeb, ein Partner der Anti-Mursi-Koalition, hat sich islamische Schweigeexerzitien auferlegt. Und die Rebellenbewegung Tamarod tut weiter tapfer so, als glaube sie an die Armeeversion vom Terroristenüberfall, an deren Ende ein Blutbad der Streitkräfte an vielen Muslimbrüdern stand.

Altdiplomat Mohammed el Baradei fordert eine unabhängige Untersuchung, die es natürlich niemals geben wird. Videos und Augenzeugenberichte vom Ort des Geschehens allerdings mehren sich. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Strahlkraft der drei Stunden später aufgenommenen Armeesequenz von einem rot markierten, schießenden Protestierer als Unschuldsbeweis verblasst sein wird.

Kein Wunder, dass der neue Übergangspräsident Mansur nun in einem Akt verzweifelter Selbstsuggestion die Flucht nach vorne antritt. Bereits innerhalb den nächsten sieben Monate soll ein von Experten revidiertes Grundgesetz verabschiedet und ein neues Parlament gewählt worden sein, dekretiert er kühn – ein Plan, den die Rebellen von Tamarod postwendend als Gründungsurkunde einer neuen Diktatur geißelten. Im kommenden Frühjahr sollen Präsidentenwahlen folgen, dann wären Militärputsch und Entmachtung Mursis bald Geschichte, lautet das Kalkül. Doch in dem Ägypten von heute werden keine Träume mehr wahr. Nach dem Auszug der Salafisten gerät die restliche Tahrir-Allianz der zweiten Revolutionäre zunehmend in den Verdacht, mit Panzern an die Macht geputschte Wahlverlierer zu sein.

Ihr Bündnis mit Armee und Polizei könnte sich als Pakt mit dem Teufel erweisen. Die Generäle haben in den letzten zweieinhalb Jahren sämtliche Verbrechen ihrer Truppen unter den Tisch gekehrt, geschweige denn Verantwortliche zur Verantwortung gezogen. Lediglich zwei junge Soldaten, die im Oktober 2011 mit gepanzerten Fahrzeugen durch eine Christendemonstration pflügten, wurden minimal bestraft, ihre Befehlshaber blieben ungeschoren. Das Gleiche gilt für die schweren Übergriffe der Militärpolizei auf dem Tahrir- Platz. Die Bilder von der halb nackten jungen Frau, der Soldaten noch am Boden liegend in den Magen und auf den Kopf traten, gingen damals um die Welt. Auch das Video des Polizeischarfschützen, der sich vor laufender Kamera brüstete, wieder einem Demonstranten die Augen ausgeschossen zu haben, ist unvergessen.

Ägyptens Sicherheitskräfte haben immer – wie jetzt wieder – nach eigenem Ausnahmerecht agiert. Die Polizei hat unter Mursis Präsidentschaft ihren Dienst glattweg verweigert, jetzt fühlen sich viele Polizisten erneut als unangefochtene Herren im eigenen Haus. Für die Übergangsallianz, die sich die Rettung der revolutionären Ideale auf ihre Fahnen geschrieben hat, könnte sich dies schon bald als Hypothek erweisen. Die Opposition ist hoffnungslos zerstritten. Ihr Spitzenpersonal ist genauso mittelmäßig wie das der geschassten Vorgängerführung. Auch el Baradei gilt bis in die Reihen der eigenen Partei als schlechter Organisator mit abgehobenen Attitüden und einsamen Entscheidungen.

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