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Meinung: Richter-Mobbing: Abhängig von der eigenen Biografie

Mein Freund, der in einem aufregenden, mitunter aber auch nur aufgeregten Unternehmen, eine leitende Stellung innehat, muss sich häufig Beschwerden anhören und über sie befinden. Sehr oft soll ungeheuerlich sein, was ihm vorgetragen wird, noch nie dagewesen und der ärgste aller vorstellbaren Anschläge auf die Zusammenarbeit.

Mein Freund, der in einem aufregenden, mitunter aber auch nur aufgeregten Unternehmen, eine leitende Stellung innehat, muss sich häufig Beschwerden anhören und über sie befinden. Sehr oft soll ungeheuerlich sein, was ihm vorgetragen wird, noch nie dagewesen und der ärgste aller vorstellbaren Anschläge auf die Zusammenarbeit.

Der Freund hört zu. Und irgendwann bringt er in das Gespräch die Frage ein, ob das, worüber man spricht - nicht schon immer so war. Diese Fragestellung ist sehr hilfreich und ich habe sie, wenn auch nicht gerade schmerzlos, übernommen. Sie läuft nicht darauf hinaus, dass ein Vorfall oder Missstand hingenommen werden muss, weil es eben schon immer so war. Doch sie erinnert daran, wenn sie mit "Ja" beantwortet werden muss, dass mit ausdauernden, sich hartnäckig wiederholenden Problemen anders umzugehen ist als mit tatsächlich neuen, völlig ungewöhnlichen Vorgängen.

Dieser Tage hat die Wissenschaft darauf aufmerksam zu machen, dass von einer dramatischen Zunahme von Erdbeben nicht die Rede sein kann und dass aus Seattle nicht geschlossen werden muss, die Schöpfung sei der Menschen überdrüssig und wolle Schluss mit ihnen machen.

Dieser Tage ist auch darauf aufmerksam zu machen, dass der Lärm über die Berufung einer Richterin und eines Richters an den Bundesgerichtshof (BGH) keineswegs den Ausbruch einer bislang verheimlichten Justizkrise hörbar macht, sondern lediglich an eine Problematik erinnert, die so alt ist wie das Grundgesetz und noch viel älter - nämlich so alt wie der Versuch, die Einhaltung von Spielregeln für das Zusammenleben Richtern zu übertragen, der dritten, Recht sprechenden Gewalt im Staat. Richter des BGH haben kürzlich gegen die Berufung der neuen Kollegen durch den von der Politik dominierten Richterwahlausschuss protestiert, weil die fachlich nicht geeignet seien.

Das Grundgesetz sah die Errichtung eines Obersten Bundesgerichts vor, also einer Instanz noch über dem Bundesverfassungsgericht. Es sollte für die Wahrung der Einheit des Bundesrechts zuständig sein. Und seine Existenz hätte dem Bundesverfassungsgericht vielleicht manche zeitraubende Entscheidung abgenommen. Doch durch ein Gesetz vom 19. Juni 1968 entfiel in aller Stille das von den Vätern des Grundgesetzes vorgesehene Oberste Gericht und wurde durch einen Gemeinsamen Senat der obersten Gerichte ersetzt. Das Oberste Gericht entfiel - weil man sich nicht darüber verständigen konnte, nach welchen Kriterien und vor allem, von wem die Richter dieses Gerichts auszuwählen und zur Ernennung vorzuschlagen seien.

Zwölf Paragrafen des Deutschen Richtergesetzes sind der "Unabhängigkeit des Richters", sechs den "Besonderen Pflichten des Richters" gewidmet, das Richterwahlgesetz für Richter im Bundesdienst besteht aus 15 Paragrafen. Doch Frieden hat es hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richter und ihrer Bestellung an die obersten Gerichtshöfe des Bundes noch nie gegeben. Natürlich, "Mobbing unter Richtern", so macht man eine Alltäglichkeit auf in den Medien, um eine Sensation aus ihr zu machen. Doch wie geht man mit diesem ausdauernden, sich hartnäckig wiederholenden Problem um? Was kann geschehen, damit es kleiner wird, damit es - wenigstens ein wenig - magerer wird?

Vielleicht sollten wir beginnen, uns nicht nur mit der Gefahr einer politischen Abhängigkeit der Richter auseinanderzusetzen - sondern auch mit der Abhängigkeit des Richters von sich selbst, von seiner Biografie. Die ist unabänderlich. Und die ist nur dadurch in ihrer Gefährlichkeit zu mindern, dass den Richtern diese Abhängigkeit über allen anderen Abhängigkeiten bewusst wird. Es ist unausweichlich und keine Schande, von sich selbst abhängig zu sein. Nur sollte man dieser Abhängigkeit wachsam gegenüberstehen. Das gilt übrigens auch für Journalisten.

Gerhard Mauz

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