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Meinung: Ritt auf dem Lichtstrahl

Als einziger moderner Forscher wurde Einstein zur Pop-Ikone. Er hat die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst aufgelöst

Wissenschaftsjournalisten lieben Einstein. Wir können gar nicht anders. So wie die Liebhaber des argentinischen Tangos heute noch zum Grab von Carlos Gardel auf dem Chacarita- Friedhof in Buenos Aires pilgern, um seinem lebensgroßen Standbild eine Zigarette nach der anderen anzustecken, damit sein Lebensfunke niemals erlischt, so dekorieren wir Zeitungen und Magazine immer noch mit Einstein-Fotos und -Zitaten, damit das kleine Fünkchen, mit welchem wir das Interesse der Öffentlichkeit für die Wissenschaft entzünden können, niemals zu brennen aufhört.

Zur selben Zeit, als Carlos Gardel das Tango-Lied berühmt machte, verhalf Albert Einstein der Wissenschaft zu ungeahnter Popularität. Gardel berührte die Volksseele mit traurigen Worten und Melodien, die um die Einsamkeit und Entwurzelung des Großstadtbewohners kreisten. Einstein seinerseits berührte die Volksseele mit traurigen Erkenntnissen, die um die Einsamkeit und Entwurzelung des Menschen als Bewohners des Universums kreisten. Eines Kosmos, in dem es keinen absoluten Raum und keine verlässliche Zeit mehr gibt. Die Grundlagen hierfür legte Einstein vor genau 100 Jahren mit seiner Speziellen Relativitätstheorie, die er wenige Jahre später zu einer noch allgemeineren Weltsicht ausbaute.

Der seltsam anmutende Vergleich Einsteins mit einer Tango- Ikone kommt nicht von ungefähr. Einstein ist der einzige Forscher des 20. Jahrhunderts, den jeder kennt. Auch er avancierte zur Pop- Ikone.

Während sich der Ruhm des Forschers für gewöhnlich darin erschöpft, von den Mitwissenden, den Fachkollegen, zitiert zu werden, wurde Einstein nach Ende des ersten Weltkrieges infolge einer medialen Kettenreaktion ins Rampenlicht der Öffentlichkeit katapultiert, nachdem ein britisches Forscherteam festgestellt hatte, dass Lichtstrahlen tatsächlich, wie von ihm vorhergesagt, in der Nähe der Sonne auf krummen Wegen laufen. Und er ergriff diese Chance mit Leidenschaft und mutigem Dazwischenreden, mit einem Nonkonformismus, der mitunter an Dickköpfigkeit grenzte, nachlässig gekleidet und mit einem Geigenkoffer in der Hand.

In seinem Wunderjahr 1905 ist von alledem noch wenig sichtbar. Lediglich die Fachwelt wird auf ihn aufmerksam. Aber auch das eher zögerlich, obwohl sich in diesem Jahr in Einsteins Schaffen die Erkenntnisse der unterschiedlichsten Forschungsgebiete zu einem neuen Weltbild verdichten: Fast gleichzeitig macht er, erstens, die Existenz von Atomen sinnlich erfahrbar und legt, zweitens, dar, dass Licht aus einzelnen Energiepaketen besteht, den Quanten. Er revolutioniert, drittens, unsere Vorstellung von Raum und Zeit und wirft in einem Nachklapp zur Relativitätstheorie die berühmteste physikalische Formel aller Zeiten aufs Papier: E=mc². Sie bringt bereits jene gewaltige Energie zum Ausdruck, die in einem einzigen Gramm Materie steckt, eine Energie von mehreren 1000 Tonnen Kohle.

Seine geistige Explosion im Jahr 1905 ist ohnegleichen. Mit den neuen Einsichten, gepaart mit einer fundamentalen Kritik an den Begriffen der klassischen Physik, ist er seiner Zeit ähnlich weit voraus wie ehemals nur Galilei und Newton. Und wenn wir ihn 2005 mit Festakten, Kongressen und Ausstellungen feiern, dann, weil sein Werk über Jahrzehnte hinweg, in vieler Hinsicht bis heute richtungsweisend geblieben ist.

So müssen etwa die von ihm vorhergesagten Gravitationswellen erst noch entdeckt werden, auch wenn die Physiker längst von deren Existenz überzeugt sind. Und wenn wir eines Tages kleinste Materiestrukturen mit einem Atomlaser statt mit Licht durchleuchten, dann vor allem deshalb, weil Forscher in den 90er Jahren einem neuartigen Materiezustand hinterherjagten, den Einstein vorhergesagt hatte: dem inzwischen gefundenen Bose-Einstein-Kondensat.

Wer war nun dieser Einstein?

Das „Albertle“, wie die Mutter den 1879 in Ulm geborenen Bub nannte, stammte aus einer wenig sesshaften Familie jüdischer Kaufleute. Religiöse Bräuche spielten in seiner Erziehung keine besondere Rolle. Erst der für ihn immer stärker spürbare Antisemitismus verband ihn in späteren Jahren stärker mit dem Judentum, als es seinem Naturell entsprach. In den 20er Jahren reiste er mit den Botschaftern des Zionismus durch die USA, sammelte Geld für eine hebräische Universität in Jerusalem.

Dann aber wandte er sich als Kosmopolit angesichts der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern auch scharf gegen einen jüdischen Nationalismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ihm ob seiner Berühmtheit das Amt des israelischen Staatspräsidenten angetragen Er lehnte ab.

Einstein saß Zeit seines Lebens zwischen den Stühlen. Er litt an der Politik, sah sich mit ständig wechselnden historischen Konstellationen konfrontiert. Autoritäten, auch schulische, lehnte er ab.

Aber schon als Zwölfjähriger war er begeistert von der Mathematik, insbesondere der Geometrie – ein früher Enthusiasmus, den er mit Galilei und Newton teilte. Auch mit aktuellen physikalischen Problemen beschäftigte er sich früh. Und was ihn wirklich interessierte, ließ ihn nicht mehr los.

Zum Beispiel die Frage, ob man auf einem Lichtstrahl reiten kann und wie man das Licht in einem solchen Fall wahrnimmt. Seine intuitive Antwort darauf enthielt bereits einen wesentlichen Grundgedanken der Relativitätstheorie: dass nämlich alle physikalischen Gesetze unverändert bleiben, sofern sich ein System gleichförmig bewegt.

Er war ein Meister des Fragens. Und seine oft als naiv beschriebene Genialität beruhte zum Gutteil hierauf: auf einfachen Fragen, Fragen, mit denen sich vor ihm in anderer Weise auch Galilei und Newton auseinander gesetzt hatten. Er stand auf den Schultern dieser Riesen, jedoch als Kind seiner Zeit. Und diese Zeit hielt ein elaboriertes physikalisches und mathematisches Rüstzeug für ihn bereit, dessen er sich lediglich richtig zu bedienen brauchte.

Freilich: Auch andere Forscher waren darum bemüht. Sie hatten, wie der Holländer Hendrik Antoon Lorentz, wichtige Formeln der Relativitätstheorie sogar schon zu Papier gebracht. Ihren eigentlichen Wert aber hatten sie nicht erkannt.

Dass Einstein zunächst am Rand der organisierten Wissenschaft stand, war für ihn nicht von Nachteil. 1905 hatte er einen Job am Patentamt in Bern inne, war dort Experte dritter Klasse. Diese Arbeit ließ ihm genug Zeit, Fachzeitschriften zu lesen und die Physik in ihrer ganzen Breite zu studieren. Er frequentierte einen kleinen intellektuellen Zirkel, profitierte insbesondere von Diskussionen mit seinem Freund, dem Ingenieur Michele Besso, las Kant, Hume und Mach.

Nicht zuletzt durch sie lernte er, Begriffe auf ihre wesentliche Bedeutung hin zu hinterfragen. Man kann einem zeitgenössischen Physiker wie dem Österreicher Anton Zeilinger nur zustimmen, wenn er bedauert, dass eine solche philosophische Schulung den meisten Studenten naturwissenschaftlicher Fächer heute abgeht.

Einstein, so lässt sich vielleicht zusammenfassend sagen, hat die richtigen physikalischen Fragen gestellt und dann nicht mehr locker gelassen. So kam er darauf, dass die Lichtgeschwindigkeit etwas Absolutes ist und in allen Systemen gleich groß. Er pflückte die Spezielle Relativitätstheorie wie eine schon reife Frucht vom Baum – samt all den seltsamen Konsequenzen, die sich aus ihr ergeben.

Zum Beispiel, dass jedes System seine eigene Zeit besitzt: Wer sich bewegt, für den dehnt sich die Zeit. Einstein im flotten Raumschiff lebt länger als der unter dem Apfelbaum sitzende Newton.

Kurz nachdem er die Spezielle Relativitätstheorie formuliert hatte und während er noch um deren Akzeptanz kämpfte, ging er bereits den nächsten revolutionären Schritt und hob nun auch die Newtonsche Vorstellung der Schwerkraft aus den Angeln – seine größte, seine ureigene Leistung. Raum und Zeit waren fortan veränderliche Gebilde, die im Universum verteilte Materie selbst krümmte Raum und Zeit um sich herum.

Einstein vollendete die Allgemeine Relativitätstheorie in Berlin, als der Erste Weltkrieg bereits seinen Lauf nahm. Max Planck und andere etablierte Forscher hatten ihm kurz vor Kriegsausbruch eine Stelle ohne jegliche Lehrverpflichtungen an der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften verschafft: ein Traumjob für den jungen Forscher. Und das mitten in der damaligen Hochburg der Naturwissenschaften, die Berlin noch bis zur erzwungenen Emigration Einsteins und zahlreicher anderer jüdischer Forscher in den 30er Jahren blieb.

Einstein schätzte den engen fachlichen Gedankenaustausch mit Planck und Co. sehr. Doch sein Wechsel nach Berlin war zunächst mit einer bitteren menschlichen Enttäuschung verbunden.

Kaum angekommen, musste er mit ansehen, wie seine Forscherkollegen mit der Unterzeichnung des „Aufrufs an die Kulturwelt“ in patriotisches Kriegsgeschrei einstimmten. Etliche von ihnen meldeten sich freiwillig zum Frontdienst, Walther Nernst und vor allem Fritz Haber bereiteten bald in Laborversuchen an der Akademie den Giftgas-Krieg vor, dem im April 1915 bei Ypern in Belgien Tausende Soldaten zum Opfer fielen.

Einstein erhob in diesem Schlachtenlärm erstmals seine Stimme als Pazifist. Er unterzeichnete einen „Aufruf an die Europäer“ gegen den Krieg, versuchte, die Kollegen auf seine Seite zu ziehen und den Kontakt zum Ausland aufrecht zu halten. Dieses mutige Auftreten trug entschieden zu seiner Popularität außerhalb Deutschlands bei.

Nach dem Krieg, als die Allgemeine Relativitätstheorie bereits durch Experimente bestätigt worden war und die Presse ihn bedrängte, reiste er durch Europa, in die USA und nach Japan. Dort wurde er mehr als internationaler Wissenschaftler gefeiert denn als Kulturbotschafter Deutschlands, als den ihn sein Heimatland nun gerne vorzeigte.

Seine Appelle zu Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung brachten ihm eine weltweite Anhängerschaft – die er später, in einer der vielen historischen Wendungen, enttäuschte. Ausschlaggebend dafür war der in der Weimarer Republik immer stärker werdende Antisemitismus und Nationalismus in Deutschland, den Einstein bei zahlreichen Veranstaltungen am eigenen Leibe zu spüren bekam. Schon früh erkannte er darin eine Bedrohung für ganz Europa, vor der sich Staaten wie Belgien oder Frankreich seiner Meinung nach schützen mussten.

Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, ging Einstein noch einen Schritt weiter. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges warnte er den amerikanischen Präsidenten Roosevelt, die Deutschen könnten eine Atomwaffe bauen. Deutschland hatte er inzwischen für immer den Rücken gekehrt und sich in Princeton in den USA in einem wahren Elfenbeinturm der Forschung niedergelassen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Einstein von vielen aktuellen Fragestellungen der Physik längst verabschiedet. Er hatte die Kernphysik links liegen gelassen, verschloss sich, starrköpfig, den Erfolgen der Quantentheorie und vertiefte sich erfolglos in die Suche nach einer noch allgemeineren, weltumspannenden Theorie. Er war zum schrulligen Außenseiter seiner Zunft geworden.

In der von ihm entdeckten Formel E=mc² steckte bereits die ganze Sprengkraft der Bombe. An der langwierigen Erforschung der Kernspaltung, der Entdeckung der Kettenreaktion und dem „Manhattan project“, das schließlich zur Atombombe führte, war er nicht beteiligt. Aber er plädierte, angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung, für den Bau der Bombe. Später bedauerte er diesen Schritt und setzte sich gegen die atomare Aufrüstung ein.

Auch diese Wendung war charakteristisch für ihn. Zeit seines Lebens bewahrte er sich seine geistige Unabhängigkeit. Mit seinem rebellischen Geist und seinem beherzten politischen Engagement, seinen häufigen Irrtümern, der zunehmenden Verbohrtheit oder seiner späten, „kosmischen“ Religiosität verbinden wir alles andere als eine scharfe Trennung zwischen Objektivität und Subjektivität.

Gerade diese Unschärfe macht ihn in Relation zu anderen Forschern der Moderne zum idealen Bindeglied zwischen den oft als gegensätzlich empfundenen Kulturen: der Wissenschaft und der Kunst.

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