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Meinung: Rosenholz nervt

Die Aufarbeitung des alltäglichen DDR-Terrors ist viel wichtiger

Von Lutz Rathenow

Nun hat die Stasi-Unterlagenbehörde die ersten 16 Namen von insgesamt 48 Bundestagsabgeordneten veröffentlicht, die von der DDR-Auslandsspionage als IM geführt worden sind. Die Namen müssten eigentlich irritieren: Denn können Franz Josef Strauß, Herbert Wehner oder Willy Brandt Spitzel für die DDR gewesen sein? Natürlich nicht. Sie und die meisten der anderen 48 aus einer (!) Legislaturperiode des Bundestages derart durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) erfassten Politiker waren Marianne Birthler durch die Auswertung der aus Amerika zurückgekommenen Rosenholz-Dateien seit längerem bekannt. Verständlich ihre Scheu, die Namen mit der Kombination IM an die Öffentlichkeit zu geben. Werden sich doch andere in der DDR tätige IMs auf solche Fälle berufen. Aber auch die Auslandsaufklärung hatte wirkliche Spitzel. Für die genannten Prominenten oder ihre Angehörigen mag die Auskunft plausibel sein, in der Hauptabteilung Aufklärung wurde anders registriert, alle seien nur abgeschöpft worden und gelten somit als Opfer des DDR-Geheimdienstes. Doch Opfer wird hier ein zu dehnbarer Begriff. Wer bloß Objekt einer Überwachung geworden ist, war noch kein wirkliches Opfer. Das Wort vom „Überwachungsstaat“ verharmlost die DDR ohnehin. Nicht Bespitzeln und Abhören ergeben jene gruselige Aura des ungehemmt Möglichen, sondern ein Bündel von Maßnahmen, die direkt und indirekt das Leben der davon Betroffenen veränderten; im Extremfall zerstören sollten. In der Stasi-Sprache hieß der Begriff dafür „Zersetzungsmaßnahmen“, damit waren Menschen gemeint und keine chemischen Prozesse. Dieser real-sozialistisch grundierte Zynismus eigener Art lebt in Weißrussland oder Usbekistan fort, er kämpft nicht nur in der Ukraine um seine Macht. In modifizierter Form existiert er vor allem in China und beim politischen Führungspersonal in Russland, der Putinismus mit demokratischem Antlitz stellt Deutschland vor prinzipielle und praktische alltägliche Umgangsfragen. Erst kürzlich beim Fernsehinterview mit Maybrit Illner ließ es sich Putin nicht nehmen, eine Lektion in angewandter Demagogie vorzuführen. Indem er den an ihn gerichteten Vorwurf einer „gelenkten“ Demokratie umdrehte und die alte Mär der von ausländischen Geheimdiensten gelenkten Oppositionellen in Russland auftischte.

Die Machtgestaltung in den speziellen Ausformungen der späten DDR ist hochinteressant, lieferte sie doch so manche kleine Freiheit (um größere zu vermeiden) und eröffnete ein Spiel mit vielen Tricks. Gerade im deutsch-deutschen Verhältnis. Hier könnte eine wichtige Debatte beginnen, wenn man sich nicht nur auf IM-Enttarnung fixieren will. Wie weit konnten westdeutsche Politiker von der DDR beeinflusst werden, ohne dass jene jemals für die DDR gearbeitet hätten? Warum wurde der eine West-Politiker durch Quellen in seiner Nähe als IM geführt, der andere (zum Beispiel Helmut Kohl) nicht? Wie erfolgreich war der versuchte Einfluss – viel Lärm um wenig? Auch das wäre eine Erkenntnis.

Die DDR war ökonomisch betrachtet eine staatliche Planwirtschaft – man darf witzeln: mehr Plan als Wirtschaft. Sie war dies auch in einen umfassenderen Sinn. Man schrieb sich Erfolge zu, man hatte sie aber auch – und sei es durch das Streuen von Gerüchten, Desinformationen. Die Stasi-Akten sind beim Lesen für die Betroffenen oft unbequem und nicht synchron mit den eigenen, mit den gewünschten Erinnerungen. Sie führen zu Fragen, stellt man sich ihnen. Hier wäre größtmögliche Transparenz im öffentlichen Umgang wichtig. Es geht um einen in der Regel nur noch filigranen (aber wirksamen) Terror einer späten DDR, die von so manchem nicht mehr als Unrechtsstaat wahrgenommen wurde. Ein Staat mit Demokratiedefiziten,wie es in Diskussionen nicht nur innerhalb der Linkspartei öfter zu hören ist. Will die Bundesrepublik das Erbe der DDR nutzen, um eine offene Diskussion über Spiel- und Illusionsräume im Umgang mit Nichtdemokratien anhand der DDR-Erfahrungen zu führen? Wir reden über Menschenrechtsverletzungen in Gegenwart und Zukunft, wenn wir über die Vergangenheit sprechen. Wie weit kann man Diktaturen als solche wahrnehmen und beeinflussen?

Der Autor, DDR-Dissident und Schriftsteller, befasst sich auch in seinem neuen Buch „Gewendet“ (Jaron Verlag) mit diesem Thema.

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