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Meinung: Rot, schwarz und blau

Von Christoph von Marschall Europa will sich vereinigen und scheint doch geteilt wie lange nicht mehr. Im Westen ist Schwarz die politische Trendfarbe: Nach Spanien, Portugal, Italien und Dänemark hat auch Frankreich konservativ gewählt.

Von Christoph von Marschall

Europa will sich vereinigen und scheint doch geteilt wie lange nicht mehr. Im Westen ist Schwarz die politische Trendfarbe: Nach Spanien, Portugal, Italien und Dänemark hat auch Frankreich konservativ gewählt. Im Osten des Kontinents kommt in dem Jahr, in dem die Erweiterungsverhandlungen abgeschlossen werden sollen, Rot groß in Mode. Nach Polen und Ungarn haben in Tschechien die Sozialdemokraten die zuvor regierenden Konservativen abgelöst. Wie soll da am Ende die gemeinsame Europafarbe Blau herauskommen?

Der Gegensatz ist eine Laune der Geschichte. Ob West, ob Ost: Wahlen entscheiden sich nicht an der Europapolitik. Hier wie dort wurden die Regierenden abgewählt. Im Westen waren das bisher die Roten, im Osten die Schwarzen; nun ist es umgekehrt. Und doch enthält die Laune der Geschichte eine tiefere Weisheit. Denn auch dies ist West und Ost gemeinsam: Die Skepsis gegen den Segen alleuropäischer Harmonisierung, die Liebe zu nationalen Eigenheiten ist auf der Rechten stärker verbreitet – bis hin zur Versuchung eines Anti-Europa-Populismus.

Die Wähler im Westen haben sich gewöhnt an die EU. Sie haben zwar ein bisschen Angst vor der Unruhe, die die Erweiterung mit sich bringt, vor der neuen Konkurrenz in Krisenbranchen wie Bau, Textil, Stahl. Aber sie ahnen, dass die hoch entwickelten westlichen Ökonomien sich, alles in allem, mit dem Wettbewerb im Binnenmarkt leichter tun werden als die unerfahrenen Nachzügler aus dem Osten. Und wo nötig, werden die nun wieder konservativen Regierungen im Westen das nationale Interesse verteidigen.

Die Bürger im Osten stehen noch draußen vor der Tür zur EU. Sie haben zwar noch viel mehr Angst vor dem nationalen Identitätsverlust und dem Wettbewerb. Sie zögern, die erst kürzlich wiedergewonnene Souveränität an die EU abzugeben. Und wissen doch: Wir müssen da rein, damit unsere Kinder und Enkel bessere Aussichten haben. Da nützen aber keine Nationalromantiker an der Macht. Das müssen die pro-europäischen Kräfte richten, die mit der EU vernünftig über faire Beitrittsbedingungen verhandeln. Die Wähler in Polen, Ungarn und Tschechien haben die Populisten dorthin verfrachtet, wo sie hingehören: in die Opposition.

Wenn es hart auf hart kommt, haben die Pro-Europa-Kräfte eine Mehrheit. Das ist die positive Botschaft der Wahlen, auch mit Blick auf die Volksabstimmungen über den Beitritt und die Bedingungen im kommenden Jahr. Doch unbedenklich ist diese Konstellation nicht. Zu Zeiten der konservativen Regierungen waren die Skeptiker und ein Teil der Rechtspopulisten in die Verantwortung eingebunden. In der Opposition müssen sie keine staatspolitische Rücksicht nehmen.

Wie viel Spielraum radikale Populisten haben, kann sich Kanzler Schröder heute bei den Regierungskonsultationen in Breslau erzählen lassen. Kürzlich hat Parteichef Andrzej Lepper von der „Samoobrona“ („Selbstverteidigung“) Getreide aus der EU aus den Waggons auf die Bahngleise gekippt – weil es dank der EU-Subventionen zu Dumpingpreisen nach Polen komme, die unter den Erzeugerkosten in Polen liegen. Und nun sollen die Agrardirektbeihilfen den Kandidaten auf Dauer vorenthalten bleiben? Solche Forderungen, die als Demütigung verstanden werden, können die Stimmung kippen.

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