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Rote-Khmer-Tribunal: Über das Recht sprechen

Wenn unter einem Gewaltregime Millionen Menschen umkommen, müssen die Verantwortlichen bestraft werden. Häufig aber geschieht das nicht. Der Despot Kambodschas kam nie vor Gericht, er starb zu Hause. Jetzt gibt es das Rote-Khmer-Tribunal.

Hitler konnte nicht verfolgt werden. Immerhin gab es die Nürnberger Prozesse. Mao, Stalin, Suharto wurden nie belangt. Im Gegenteil: Nach ihrem Tod ehrte man die Despoten. Zur Verfolgung der Menschenrechtsverbrechen auf dem Balkan und in Afrika trat der Internationale Gerichtshof in Den Haag in Aktion. Der kambodschanische Massenmörder Pol Pot aber kam nie vor Gericht. Er starb zu Hause. Jetzt jedoch gibt es das Rote-Khmer-Tribunal.

Ab Dienstag wird in Kambodscha über Verbrechen verhandelt, die zu den schlimmsten des 20. Jahrhunderts zählen. In den 70er Jahren kamen unter Pol Pots Rote-Khmer-Herrschaft bis zu zwei Millionen Kambodschaner um. Nichts und niemand kann den Ermordeten, den Folteropfern und den zerrissenen Familien Gerechtigkeit bringen. Aber wenigstens beendeten mit dem Tribunal verbundene Festnahmen einen unerträglichen Zustand: 28 Jahre lang blieben ranghohe Rote Khmer unbehelligt in Freiheit.

Ruanda, Sierra Leone, Jugoslawien, Kambodscha – immer öfter wird versucht, Unrecht aufzuarbeiten. Bei aller Unvollständigkeit, bei allen Mängeln: Die Verfahren müssen sein, denn wer Kriegsverbrechen ungesühnt lässt, erleichtert neue. Dass die Kambodscha-Prozesse im eigenen Land stattfinden, ist mutig. Bisher blieb es trotz der Aufarbeitung der finsteren Historie friedlich, keine neuen Konflikte brachen auf.

Dabei ist das Rote-Khmer-Tribunal alles andere als perfekt. Es kommt spät. Vier Beschuldigte sind um die 80 Jahre alt, sie könnten bald sterben oder unzurechnungsfähig werden. Die kambodschanische Chefanklägerin blockiert den Wunsch ihres UN-Kollegen, weitere Rote Khmer festzunehmen. Internationale Gerichtsmitarbeiter glauben, dass Kambodschas Regierung für diese Blockade verantwortlich ist. Und es ist der Eindruck entstanden, Premier Hun Sen habe Angst – er war Khmer-Soldat, sagte sich vom Regime los, flüchtete nach Vietnam, half später, Pol Pot zu stürzen.

In Phnom Penh ist aber zu hören, dass weder Hun Sen noch andere Regierungsmitglieder mit Khmer-Vergangenheit Prozesse zu befürchten haben. Keiner soll schwere Verbrechen begangen haben – gut möglich, dass Hun Sen vorsichtshalber blockiert. Ob nun fünf oder mehr Angeklagte, das Gericht kann sich nur mit der Spitze eines Gräueltatenberges beschäftigen. Insgesamt laufen Tausende Mörder der Roten Khmer frei herum. Das wird so bleiben.

Doch den Kambodschanern ist die Zahl der Anklagen nicht so wichtig. Die Symbolik bedeutet ihnen viel mehr. Endlich soll, und sei es nur in wenigen Fällen, Verantwortung bewiesen und, noch besser, eingestanden werden. Beides ist zu erwarten. Gut auch, dass durch das Tribunal die Zeit der Roten Khmer der Tabuzone entrissen wird. Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt erstmals ein Schullehrplan beschlossen wurde, der die Schreckensherrschaft nicht mehr ausblendet. Auch einige Täter äußern sich. Sie wissen um ihre Schuld und sehen sich gleichzeitig als Opfer, als Geiseln eines Regimes, dem keiner entkommen konnte.

Der Dialog ebnet einer traumatisierten Gesellschaft einen Weg zur Versöhnung. Das ist wichtiger als ein perfektes Gerichtsverfahren.

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