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Meinung: Roulette der alten Herren

Ariel Scharons Vorgehen gegen die Palästinenser nützt vor allem Jassir Arafat

Von Clemens Wergin

Sechs Wochen herrschte relative Ruhe. Doch nach den jüngsten Terror-Anschlägen wähnen sich Israelis und Palästinenser wieder in dem alten Film, den sie nicht mehr sehen wollten: Sieben Tote auf israelischer Seite, ein fast komplett zerstörtes Hauptquartier auf palästinensischer. Alles wie immer?

Der Blick allein auf die Gewalt täuscht. Einiges war in den letzten Wochen in Bewegung geraten, Hoffnung keimte auf. Arafat musste eine schwere Niederlage einstecken, als das Parlament sein Kabinett nicht bestätigte. Der Ruf prominenter palästinensischer Politiker nach einem Ende der Selbstmordattentate wurde immer lauter – und nun wurden sie deshalb nicht mehr gleich als Verräter beschimpft. Mit Blick auf die Wahlen im Januar gingen aussichtsreiche Kandidaten auf Distanz zu Arafat und seiner Clique.

Umso trauriger, dass Scharon nun abermals Arafat für die Anschläge verantwortlich macht. Die verlorene Abstimmung im Parlament hat gezeigt, dass der Palästinenserführer nicht mal mehr seine eigene Fatah-Bewegung im Griff hat. Geschweige denn die vielen lokalen Banden, die weiter Attentate planen. Man kann Israel nicht das Recht absprechen, Terror-Nester in den besetzten Gebieten auszuheben, um die eigene Bevölkerung zu schützen. Doch die Vorwürfe der Israelis gegen die 19 im Hauptquartier Inhaftierten sind allzu vage. Die Zerstörung und Einkesselung von Arafats Regierungssitz folgt keinem nachvollziehbaren Sicherheitsinteresse, sie gilt dem Symbol Arafat.

Der Hass der beiden alten Herren aufeinander ist groß. Und doch betreiben sie weiter das Spiel des anderen. Arafat hat die Intifada vor zwei Jahren angeheizt, statt sie einzudämmen. Er hat zugelassen, dass die radikalen Palästinenser Israels Premier Barak aus dem Amt bombten. Auch Scharon hilft Arafat nur, wenn er den Palästinenserführer so bedrängt. Denn damit zwingt er die palästinensische Opposition, sich erneut hinter dem „Vater der Nation" zu sammeln, den sie doch schon in ein Repräsentationsamt abschieben wollten. Scharon erschwert so die Erneuerung auf palästinensischer Seite. Die aber ist die Voraussetzung für eine politische Lösung. Da liegt der Verdacht nahe, Israels Premier gehe es gar gar nicht um die Hassfigur Arafat, sondern darum, den politischen Prozess weiter zu verzögern.

Sicherlich hat das harte Vorgehen der Israelis in den letzten Monaten die Selbstzweifel der palästinensischen Gesellschaft, ob der Weg der Gewalt nicht in eine Sackgasse geführt hat, verstärkt. Aber das willkürlich wirkende Vorgehen gegen Arafat hemmt diese Neuorientierung nun, statt sie zu befördern. Scharon jedenfalls nimmt die Anschläge zum Anlass, den Moment der Wahrheit hinauszuzögern – den Tag, an dem er sich festlegen muss, welchen politischen Preis er bereit ist, für einen Frieden zu zahlen.

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