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Rudi Dutschke: Dem 68er zum 68sten

Agitierender Bürgerschreck: Eine kleine Geburtstags-Hommage an Rudi Dutschke.

Heute wäre er 68 Jahre alt, Rudi Dutschke, führender Kopf der bundesrepublikanischen Studentenbewegung und einer der bekanntesten „68er“. Doch er starb, nur 39 Jahre alt, am Heiligen Abend 1979 an den Langzeitfolgen des Attentats vom Osterdonnerstag 1968.

Der Widerspruch zwischen dem wild agitierenden Bürgerschreck, zu dem große Teile der Medien ihn stilisierten, und dem im persönlichen Umgang liebenswerten und sehr reflektierten Menschen könnte größer nicht sein. Nicht nur im konservativen Lager hatte er seine politischen Gegner, sondern auch unter der orthodoxen Linken. Denn Dutschke hatte nicht nur immer einen gesamtdeutschen Blick, er war als einer der wenigen in der Bewertung der beiden deutschen Staaten auch nicht einäugig. „In der DDR ist alles real, nur nicht der Sozialismus!“ war sein Urteil über das diktatorische SED-Regime. „In der BRD ist alles real, nur nicht Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ war das über den westdeutschen Teilstaat. Er schaute mit beiden Augen immer auf beide Deutschländer. Mit Wolf Biermann war er sich einig: „Die deutsche Einheit, wir dulden nicht, dass nur das schwarze Pack davon spricht!“

Was die universale Gültigkeit der Menschenrechte betraf, gab es in der alten Bundesrepublik eine große Koalition der Einäugigen. Die Rechte war auf dem rechten Auge blind und die Linke auf dem linken. Ausnahmen bestätigen die Regel. In der damals zweigeteilten Welt tobte der Kalte Krieg. In den Ländern Südamerikas waren blutige Militärdiktaturen die Regel. Portugal und Spanien wurde von den Faschisten Salazar und Franco regiert. In Südafrika – und auch in weiten Teilen der USA – herrschte noch Apartheid. Für große Teile des studentischen Nachwuchses war es nicht akzeptabel, dass die USA und auch die deutsche Bundesregierung solche Regimes stützten, die die Menschenrechte mit Stiefeln traten. Dagegen – und insbesondere gegen das US-amerikanische militärische Engagement in Vietnam – richtete sich weltweit der Protest.

Dutschke stand weder mit einem Bein in Moskau noch in Peking, sondern stets mit beiden Beinen auf der Seite der „Erniedrigten und Beleidigten“. Der real existierende Sozialismus russischer oder chinesischer Prägung war für ihn kein Partner. Er träumte von einem humanen Sozialismus und unterstützte die Dissidenten. Alexander Solschenizyn, in weiten Teilen der Linken in Europa wegen seiner Bücher über den Archipel Gulag totgeschwiegen, hatte in Dutschke einen kritisch-solidarischen Unterstützer.

Die etablierten Parteien fanden auf die Positionen der radikalisierten Studenten keine adäquate Antwort. Sie reagierten mit dem „Radikalenerlass“, den SPD, CDU und FDP auf den Weg brachten. Damit sollte verhindert werden, dass der linke Nachwuchs im öffentlichen Dienst als Briefträger, Lehrer oder Richter beschäftigt wurde. Das stand im krassen Gegensatz zu der von Willy Brandt verkündeten Parole: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Stattdessen dominierte die nur aus Diktaturen bekannte Schnüffelpraxis der „Berufsverbote“ und „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“, die 1978 durch das von Dutschke unterstützte Russel-Tribunal und 1995 durch den Europäischen Gerichtshof als eine Verletzung der Menschenrechte verurteilt wurden.

Kurz vor seinem Tod 1979 vollzog Dutschke eine beachtliche Wende. Als Herbert Gruhl wegen seines Buches „Ein Planet wird geplündert“ die CDU verlassen musste, obwohl er doch nur „die Schöpfung bewahren“ wollte, sagte er: „Was nützt uns der Sieg im Klassenkampf, wenn wir danach auf unserer Erde nicht mehr leben können.“ Beide gründeten das „Bündnis von Gruhl bis Dutschke“, aus dem später die Grünen hervorgingen. Deren Aufbau und parlamentarische Orientierung hatte er unterstützt.

Rudi Dutschke ist mit der deutschen und Berliner Geschichte eng verbunden. Deshalb hat sich die Bevölkerung von Friedrichshain- Kreuzberg in einem Volksentscheid dafür ausgesprochen, die Kochstraße in die Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen. Nur sein alter Kontrahent, der Axel-Springer-Verlag, entpuppt sich als schlechter Verlierer und versucht, das zu verhindern. Dabei wäre eine Verbindung Rudi-Dutschke-/Axel-Springer-Straße im alten Berliner Zeitungsviertel ein Beispiel von lebendiger Geschichtswerkstatt.

Der Autor ist Europaabgeordneter der Grünen.

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