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Meinung: Rückkehr der Nationen

Energie, Erweiterung, Verfassung: Die EU kämpft mit sich selbst

Die Welt ist „alt geworden, kalt und müde“, schrieb der englische Dichter Rupert Brooke enttäuscht und zog dann voller Enthusiasmus in den Ersten Weltkrieg. Die Welt hat sich kaum verändert, meint der italienische Wirtschaftsminister Giulio Tremonti: „Wenn wir so weitermachen, riskieren wir den Effekt des August 1914. Damals wollte keiner den Krieg, aber dann begann er.“

Die eben noch kalt und müde vor sich hin dümpelnde Europäische Union hat plötzlich ein Kriegsthema entdeckt, den Wirtschaftspatriotismus, und plötzlich kennt dieses Europa wieder Nationen. Auslöser sind mehrere gescheiterte Übernahmeversuche auf dem europäischen Energiemarkt. So verhinderte die französische Regierung eine Übernahme des Energieunternehmens Suez durch den italienischen Konkurrenten Enel – für die Italiener schlicht Ausdruck von nationalem Protektionismus.

Der Streit dürfte auf dem EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag und Freitag eskalieren, Tremonti will mit einer Koalition von Anti-Protektionisten das Thema dort ansprechen. Es geht dabei um nichts geringeres als die Existenz des europäischen Binnenmarkts. Und damit um das zentrale Instrument der europäischen Integration. Nationale Barrieren in einem gemeinsamen Binnenmarkt aufzubauen, ist nicht nur, wie der Kommissionspräsident José Barroso zu Recht sagt, absurd; es zerstört in Wahrheit den Kern der europäischen Idee. Wie wenig die in Europa verankert ist, zeigt die populistische Kraft einer vorgeblich wirtschaftspatriotischen Politik; die lässt sich offenbar zu leicht als nationaler Schutz vor den Kräften der Globalisierung verkaufen. Dass nun gerade diejenigen, die lange für diesen Binnenmarkt gekämpft haben, ihr eigenes Volk vor ihm schützen wollen, ist ähnlich absurd.

Dass der „Krieg“ auf dem Energiemarkt ausbricht, ist wenig überraschend. Die Ressource ist in Europa inzwischen knapp, der Markt hart umkämpft. Deshalb wäre gerade jetzt eine gemeinsame europäische Energiestrategie dringend gefragt. So wenig, wie es dabei einen Rückschritt auf ökonomischen Protektionismus geben darf, sollte die weitere Oligopolisierung auf dem Energiemarkt voranschreiten dürfen. Wie teuer die ist, wissen die deutschen Verbraucher sehr genau. Doch gegen beide Entwicklungen scheint die EU-Kommission derzeit offenbar machtlos.

Der Streit um den Binnenmarkt trifft die Union in einem äußerst ziel- und führungslosen Moment. Auch das andere fundamentale Projekt der EU, die Erweiterung, ist schließlich derzeit höchst umstritten – sogar die SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament warnen davor, neue Beitrittsperspektiven zu eröffnen. Verglichen mit diesen Kriegsschauplätzen ist die Auseinandersetzung um die europäische Verfassung gerade mal ein Scharmützel.

Die EU kämpft an vielen Fronten mit sich selbst. Nur, dass einer der Kriegsgegner Nationalismus heißt, ist dabei überraschend.

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