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Russland: Erst klagen, dann einknicken

Wie sollen Politiker mit der Tandem-Demokratie in Russland umgehen? Drei Vorsätze zum Machtwechsel im Kreml.

Am Ende des Kalten Krieges, als die Mauer in Berlin fiel, war Dmitri Medwedew 24 Jahre alt, recht jung zwar, aber erwachsen. Er erinnert sich also noch an jenes „Gleichgewicht des Schreckens“, das die Sowjetunion, dank ihrer Nuklearwaffen, auf Augenhöhe mit dem Westen gebracht hatte. Seine jüngste Erfahrung indes ist geprägt von einer anderen Waffe, den russischen Energievorräten. Am heutigen Mittwoch nun wird Medwedew ins Amt des russischen Präsidenten eingeführt, gefördert und geduldet von Wladimir Putin, seinem Vorgänger und künftigen Ministerpräsidenten. Gemeinsam bilden sie eine „Tandemokratie“. Wohin sie führt, weiß keiner.

Nur eins ist gewiss: Präsident Putin war beliebt bei seinen Landsleuten. Er gab ihnen das Gefühl, als Russen wieder respektiert zu sein in der Welt. Dazu benutzte er einen einfachen Trick. Der bestand darin, durch gelegentlich sehr lautes Poltern die Schwäche seiner realen Macht zu kaschieren. Auch seine Vorgänger beherrschten die Strategie. Erst klagen, dann einknicken: Unter diese Überschrift könnte man fast jedes Kapitel der russischen Außenpolitik gegenüber dem Westen stellen.

Ob ABM-Vertrag, Balkankrieg, jede Runde der Nato-Osterweiterung, Irakkrieg oder Anerkennung des Kosovo, es war jedes Mal dasselbe Spiel. Moskau schrie erst Zeter und Mordio, aber am Ende setzte sich stets der Westen durch. Kein Zweifel, dass auch der Streit um den US-Raketenschirm so endet. Wirklich ernst nehmen muss man solch Brustgetrommel nicht.

Denn Atomwaffen und Energievorräte sind als Machtmittel kaum einsetzbar. Ein Nuklearkrieg scheidet als Option endgültig aus, und sein Öl und Gas muss Moskau verkaufen, weil es auf die Erlöse angewiesen ist. Russlands reale Macht schrumpft stetig, wie einst die des britischen Empire und der französischen Grande Nation. Überdies sind mit China und Indien zwei Riesenrivalen entstanden, die die globale Bedeutung Russlands weiter dezimieren. In spätestens zehn Jahren muss sich der Kreml entscheiden, ob er, statt das Land in der Isolation versinken zu lassen, als Juniorpartner Chinas oder des Westens überleben will. Er wird den Westen wählen, notgedrungen.

Was folgt daraus für Deutschland und Europa? Für viele Intellektuelle hatte der Kalte Krieg auch etwas Bequemes. Die Sowjetunion stillte die Sehnsucht nach einem Gegengewicht zu den USA. Nicht die Liebe zu Moskau machte sie russophil, sondern die Abneigung gegen Washington. Weil die Sehnsucht nach einem solchen Gegenspieler immer noch vorhanden ist, leiden diese Intellektuellen am Machtverlust Russlands. Daher ihre übereifrige Bereitschaft, jedes Gepoltere aus Moskau als drohenden Rückfall in alte Zeiten zu skandalisieren.

Mehr Mut, mehr Selbstbewusstsein, mehr Gelassenheit: Das sind drei gute Vorsätze für den Umgang mit der neuen Tandemokratie aus Medwedew und Putin. Die Zeiten sollten vorbei sein, in denen der Westen aus purer Melancholie auf jede gekünstelte Moskauer Theatralik hereinfällt.

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