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Meinung: Russland ist kein Feind

Warum der ukrainische Präsident Juschtschenko Moskau zuerst besucht Von Alexander Rahr

Nach den Erschütterungen der JelzinJahre wird Russland stabiler, zahlt seine Auslandsschulden zurück und bleibt Partner des Westens im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Präsident Wladimir Putin wird von Staatschefs und Wirtschaftsbossen hofiert, sein Land steht kurz vor der Mitgliedschaft in der WTO und wird nächstes Jahr den Vorsitz in der G 8 übernehmen. Doch angesichts des autoritären Führungsstils Putins verdüstert sich das Russland- Bild der einflussreichen westlichen Intellektuellenkreise. Im Kreml entsteht der Eindruck, dem Westen sei ein schwaches Russland lieber als ein starkes.

Wer mit Russland eine reine Wertedebatte um Menschenrechte führen und – falls Moskau ein nichtliberales Entwicklungsmodell bevorzugt – eine Neuauflage der Eindämmungspolitik empfiehlt, verkennt die Realitäten. Eine gesamteuropäische Ordnung gegen Russland wird nicht funktionieren. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Fragen der globalen und europäischen Energiesicherheit, des Klimaschutzes, regionaler Konflikte sind ohne Russland nicht zu bewerkstelligen.

Die gefürchteten imperialen Umtriebe Putins entpuppen sich als Gespenst. Als klar war, dass die orangefarbene Revolution in der Ukraine gesiegt hatte, zogen alle russischen Berater ab und überließen das Feld westlicher Vermittlung. Moskaus Einfluss und Kontrolle im postsowjetischen Raum ist dramatisch geschrumpft, die Idee eines „Einheitsraumes“ mit der Ukraine und Belarus tot. Der Westen hat zwei Optionen: den Erzfeind aus dem Kalten Krieg vollends in die Schranken zu weisen oder die Europäisierung Russlands als Schlüsselaufgabe für das 21. Jahrhundert zu begreifen.

Die Gefahr, dass die erste Variante gewählt wird, ist groß. Die USA wollen der Ukraine und Georgien den Weg in die Nato öffnen. In Europa sind Unstimmigkeiten über die künftige EU-Russland-Strategie programmiert. Man wird der in einigen neuen EU-Mitgliedstaaten vorherrschenden Sicht der Ukraine als „Pufferstaat“ entgegentreten müssen. Die Überbetonung der Vermittlerrolle des polnischen Präsidenten Kwasniewski in der Ukraine durch ihn selbst sowie sein unverhüllter Triumph über Russlands geopolitische Schwächung waren für die Herausbildung einer gemeinsamen EU-Ostpolitik wenig hilfreich.

Politisch mögen sich die Ex-Sowjetrepubliken der EU und Nato anschließen, wirtschaftlich bleiben sie von Russland abhängig, bis die EU sie aufnimmt. Die EU ist äußerst zurückhaltend und konzentriert sich zunächst auf die Türkei. Die siegreichen ukrainischen Revolutionäre suchen deshalb den Ausgleich mit dem östlichen Nachbarn. Viktor Juschtschenkos erster Staatsbesuch führt nach Moskau, nicht nach Brüssel, Warschau oder Washington. Die designierte Premierministerin Julia Timoschenko strebt eine militärtechnische Partnerschaft mit Russland an und einen Nato-Beitritt nur gemeinsam.

Auch Putin scheint zu begreifen, dass eine Abkehr von einer Kooperation mit dem Westen sein eigenes politisches Lebenswerk – Russland zu modernisieren – zerstören würde. Nicht umsonst warb er kürzlich für eine EU-Unterstützung für Tschetschenien.

Der Autor ist Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er antwortet auf den Beitrag des Polen Janusz Reiter zur Ukraine vom 17. Januar.

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