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Vladimir Putin.

© AFP

Russland-Kritik und Olympia: Alle im Schwulenclub

Berechtigte Kritik findet auch in Russland offene Ohren. Selbstgefällige Vorurteilsreiterei, wie wir sie in den vergangenen Tagen erleben, dagegen nicht. Verständlicherweise.

Es sollte uns beunruhigen, was sich derzeit im „Majak“ abspielt, dem einzigen Schwulenclub von Sotschi. Gäste klagen über zunehmende Belästigungen, fühlen sich unter Druck gesetzt, haben Angst vor Nachstellungen.

So weit, so vertraut, könnte man denken. Es sind aber nicht Putins finstere Schergen, von denen sich Sotschis Homosexuelle belästigt fühlen – sondern ausländische Journalisten. Die frequentieren das „Majak“ derzeit mit einer solchen Beharrlichkeit, dass mancher Gast genervt reagiert. Mehr als 200 Interviews, klagte Clubbetreiber Andrej Tanitschew gegenüber einer amerikanischen Reporterin, habe er in den vergangenen Wochen gegeben, um immer wieder dasselbe zu erzählen: Die neue Schwulen-Gesetzgebung habe auf seinen Club keinerlei Auswirkungen.

Nun ist es fraglos notwendig und ehrenwert, dass die internationale Presse Olympia nutzt, um über russische Missstände aufzuklären, zumal Sotschi dafür reichlich Anlass bietet. Wie viel Erkenntnisgewinn bringt es aber, wenn Journalisten in Sotschi nur suchen, was sie über Russland ohnehin längst zu wissen glauben – und davon auch nicht ablassen, wenn wie im Falle „Majak“ die Realität nicht zum Wahrnehmungsschema passen will?

Dazu gehört die beharrliche Wiederholung des Vorwurfs, nur ein größenwahnsinniger Autokrat wie Putin könne einen subtropischen Badeort zum Austragungsort der Winterspiele erklären. Tatsächlich stammt die Idee aus der Gorbatschow-Ära. Schon damals wusste man, dass die sibirische Taiga zwar malerisch, als Austragungsort aber chancenlos beim IOC ist – zu kalt, zu abgelegen, zu wenig Möglichkeiten einer sinnvollen Nachnutzung.

Dazu gehört auch, dass westliche Reporter in den ersten Olympiatagen das Internet mit Fotos fehlkonstruierter Hotelklos, defekter Gardinenstangen und löchriger Straßenbeläge fluteten, das Schlagwort #SochiProblems wurde zum Dauerbrenner bei Twitter. Man könnte das als politische Kritik am verpfuschten Großbauprojekt Sotschi interpretieren, wären viele der Beiträge nicht von einem Ton geprägt gewesen, der auch putinkritischen Russen äußerst übel aufstieß. Der Westen, hieß es in Kommentaren, erhebe Schadenfreude zur olympischen Disziplin.

Gold ging an den Sender CNN, der einem österreichischen Hobbyfotografen Geld für eine schaurige Sotschi-Aufnahme anbot. Gemeint war dessen Twitter-Beitrag allerdings als Satire gegen die Häme des Westens – das Foto zeigte Schlaglöcher in Wien, nicht am Schwarzen Meer.

Seltsam auch der Vorwurf, die Eröffnungsshow in Sotschi habe nur die rosigen, nicht die blutigen Seiten der russischen Geschichte illustriert. Auch die Briten haben in ihrer gefeierten Show wenig Kolonialgeschichte gezeigt, selbst die weltmeisterzerknirschten Deutschen würden sicher keine KZ- Choreografie darbieten. Hat sich von Russland wirklich jemand eine tänzerische Aufarbeitung des Gulag-Horrors erhofft?

Berechtigte Kritik findet auch in Russland offene Ohren. Selbstgefällige Vorurteilsreiterei dagegen nicht – verständlicherweise.

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