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S-Bahn: Stillstand, Notstand

Der öffentliche Nahverkehr ist eine Lebensader der Stadt. Ex-Bahnchef Mehdorn war verantwortlich für jenen Wahnwitz, die S-Bahn zum Profitcenter zu machen, damit die Bahn besser dasteht. Doch es war der Senat, der die Verträge aushandelte.

Gottvertrauen, das haben die 50 000 Zeugen Jehovas. Sie brauchen es auch – um zum Weltkongress ins Olympiastadion zu kommen. Denn in Berlin herrscht weiter Notstand im Nahverkehr. Ausgerechnet Berlin, das so stolz ist auf sein Nahverkehrsnetz. Fehlende Züge, eingestellte Linien, miserable Kundeninformationen, lebensgefährliche Drängelei auf Bahnsteigen – seit zehn Tagen Alltag für die 1,3 Millionen Nutzer. Es kann noch schlimmer kommen. Auch eine Einstellung des Betriebs wird nicht ausgeschlossen. Und das zu Beginn der Urlaubszeit.

Ein funktionierender Nahverkehr gehört zur Daseinsvorsorge einer Stadt. In Berlin steigen immer mehr Menschen für den Weg zur Arbeit oder zum Vergnügen auf Bahnen und Busse um; die Zahl der Pkws geht zurück. Das könnte sich die rot-rote Regierung als Erfolg zuschreiben. Tatsächlich aber ist sie gerade dabei, das zu verspielen. Seitdem die S-Bahn vor dem Kollaps steht, wird es voller auf den Straßen. In ihrer Not fahren viele wieder mit dem Auto.

Das Eisenbahn-Bundesamt hat die Notbremse gezogen – und was tut die Berliner Landespolitik? Sie lässt die Menschen allein. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit beschränkt sich bisher auf die spöttische Bemerkung, nach dem Rauswurf der S-Bahn-Führung sei der Betrieb auf dem Weg zu einem kundenorientierten Betrieb. Soll heißen: Vorher war das nicht so. Wowereit, der gewinnend und charmant Berlin der Welt präsentiert, ist kein Landesvater, der zu den Betroffenen auf die Bahnsteige geht, der Empathie und Mitgefühl zeigt, der sich erkennbar einsetzt. Das Kleine im Großen ist ihm zu gering. Das wird dieser Tage klar. Er muss nicht auf die Barrikaden gehen, das nicht, aber zur Bahnzentrale am Potsdamer Platz, wo der neue Chef Rüdiger Grube sitzt. Dort muss er klären, wie mehr Züge aufs Gleis kommen, und sich diese Frage von der Bahn, dem größten Unternehmen der Hauptstadt, beantworten lassen. Es drängt.

Auch ein Bürgermeister kann kein fachkundiges Wartungspersonal oder zusätzliche Züge nach Berlin bringen, um die Chaostage zu beenden. Er kann aber immer kämpfen und sich einsetzen. Sage niemand, mit dem Thema Nahverkehr seien keine Wahlen zu gewinnen. Wowereits sozialistischer Freund, Londons Ex-Bürgermeister Ken Livingstone, hat es seinerzeit vorgemacht mit dem Versprechen, die marode „tube“ zu sanieren. Man kann damit aber auch Wahlen verlieren: Die miserablen Zustimmungswerte für die Berliner SPD belegen, wie der Glaube in Wowereits Problemlösungskompetenz schwindet. Und wie das Vertrauen abnimmt, hier kümmere sich einer um das, was den Alltag der Berliner beschwert.

Der öffentliche Nahverkehr ist eine Lebensader der Stadt. Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn war verantwortlich für jenen Wahnwitz, die S-Bahn zum Profitcenter zu machen, damit die Bahn bilanzmäßig besser dasteht. Im kommenden Jahr sollte die S-Bahn 125 Millionen Euro an den Konzern abführen – fast die Hälfte dessen, was Berlin jährlich als Zuschuss überweist. Das geht nicht, ohne den Ruf des Unternehmens zu ruinieren durch Servicemängel, Komforteinbußen, Sicherheitsrisiken; und nicht ohne Gefährdung der Kunden durch mangelnde Wartung. Als Mehdorn die Bahn privatisieren und zum global player in der Logistik machen wollte, nutzte Wowereit jede Gelegenheit, dagegen zu stänkern. Der städtische Notstand bewegt ihn weniger. Leidensdruck? Denkste. Doch es war der Senat, der Verträge aushandelte, die weder die zu erbringende Leistung genau definieren, noch dem Land ausreichend Sanktionen bei Verstößen einräumen. Berlin hat 2008 mit dem Verzicht auf Ausschreibung einer Linie auch versäumt, mehr Wettbewerb zu schaffen.

Der Belastungsfall steht übrigens nah bevor. Im August richtet Berlin die Leichtathletik-Weltmeisterschaft aus. Es wäre ein Gau, wenn tausende Gäste und Athleten aus aller Welt auf dem Weg ins Olympiastadion im S-Bahn-Stau hängen blieben. Auf Gottvertrauen kann der Senat dann nicht setzen.

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